Ein Wissenschaftler-Team ist sich sicher: Die Ausrottung von SARS-CoV-2 ist möglich. Aber leicht wird es nicht. Woran es scheitern könnte, lest ihr hier.
Die weltweite Ausrottung von COVID-19 ist wahrscheinlich machbar – so die Aussage von Wissenschaftlern aus Neuseeland in der Fachzeitschrift BMJ Global Health. Die Arbeitsgruppe um Nick Wilson von der University of Otago ist der Meinung, dass die Ausrottung von Corona sogar eher möglich ist, als es beim Poliovirus der Fall ist. Der Auslöser der Poliomyelitis tritt nach einer globalen Ausrottungskampagne nur noch in zwei Ländern der Welt auf.
Auf der anderen Seite, so die Gruppe aus Neuseeland, sei SARS-CoV-2 wahrscheinlich deutlich schwerer zu besiegen, als das Pocken-Virus. In ihrer vergleichenden Analyse berücksichtigten die Forscher insgesamt 17 Faktoren medizinischer, wirtschaftlicher und soziopolitischer Natur.
Das seit den 1970er Jahren ausgerottete Variolavirus, der Erreger der Pocken, kam dabei auf eine Gesamtbewertung von 2,7 von drei Punkten auf der Skala der Forscher. SARS-CoV-2 bekam auf der „Ausrottbarkeitsskala“ noch 1,6 und Polio 1,5 Punkte.
Das Coronavirus sticht jedoch hervor: Globale Impfkampagnen, Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und das weltweite Interesse an der Bekämpfung – auch wegen der enormen finanziellen und sozialen Schäden, die die COVID-19-Pandemie angerichtet hat – machen eine Ausrottung möglich, so Wilson und Kollegen. Die größten Herausforderungen würden hier in der Sicherstellung einer ausreichend hohen Durchimpfungsrate liegen und in der Fähigkeit, schnell genug auf Escape-Varianten zu reagieren.
Für jede der 17 Variablen wendeten die Forscher ihr Drei-Punkte-Bewertungssystem an. Zu den Variablen gehören Faktoren wie die Verfügbarkeit eines sicheren und wirksamen Impfstoffs, Erreichung einer Immunität, effektive staatliche Maßnahmen zur Infektionskontrolle, politische und öffentliche Besorgnis über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Infektion sowie die Akzeptanz von Maßnahmen in der Bevölkerung.
„Obwohl es sich bei unserer Analyse um einen vorläufigen Versuch mit verschiedenen subjektiven Komponenten handelt, scheint sie die Ausrottung von COVID-19 in den Bereich des Möglichen zu rücken, insbesondere im Hinblick auf die technische Machbarkeit“, schreiben die Autoren.
Sie räumen aber auch ein, dass die technischen Herausforderungen bei der Ausrottung von COVID-19 im Vergleich zu Pocken und Polio in der geringen Akzeptanz des Impfstoffs bestehen und in dem Auftauchen hochgradig übertragbarer Varianten, welche die globalen Impfprogramme erschweren könnten. „Nichtsdestotrotz sind der viralen Evolution natürlich Grenzen gesetzt, so dass wir davon ausgehen können, dass das Virus irgendwann den Höhepunkt seiner Fitness erreichen wird und neue, hocheffektive Impfstoffe entwickelt werden können“, schreiben die Wissenschaftler.
Die Weltgemeinschaft habe bei einer angestrebten Ausrottung des Virus noch mit einigen Herausforderungen zu kämpfen. Neben den enorm hohen Kosten sei eine reibungslose internationale Zusammenarbeit anzustreben, um die momentan sehr ungleiche Verteilung des Impfstoffs zu beheben. Auch die Möglichkeit, dass die Impfkampagne durch Faktoren wie Varianten gebremst werde oder dadurch, dass das Virus Haus- oder Wildtiere infiziert und von dort wieder auf den Menschen überspringe, sei durchaus real. Das müsse bei der Nutzenanalyse berücksichtigt werden, schreiben die Autoren.
Andererseits gebe es einen weltweiten Willen, die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Das massive Ausmaß der gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 habe ein „beispielloses globales Interesse an der Krankheitsbekämpfung und massive Investitionen in Impfungen“ hervorgerufen. Im Gegensatz zu Pocken und Polio profitiere die COVID-19-Bekämpfung aktuell auch von der zusätzlichen Wirkung öffentlicher Gesundheitsmaßnahmen wie Grenzkontrollen, Social Distancing, Ermittlung von Kontaktpersonen und medizinischen Masken – alles Maßnahmen, die sehr wirksam sein können, wenn sie richtig eingesetzt werden. Die zwischenzeitlich starke Sekung der Infektionszahlen in einigen asiatischen Ländern habe außerdem gezeigt, dass eine Ausrottung technisch möglich sei.
„Pocken wurde offiziell im 11 Jahrhundert entdeckt und erst im 20 Jahrhundert eradiziert“, erklärt Infektiologin Nazifa Qurishi. „Ich hoffe nicht, dass wir bei der Eradikation von COVID 19 so lange brauchen. Während Polio immer noch ein Problem in den Kriegsländern und Krisengebieten ist, hoffen wir, dass es möglich sein wird, COVID-19 schneller zu eradizieren.“
Neben den wirksamen Impfstoffen seien die präventiven Maßnahmen hoch effektiv und sollten ihrer Meinung nach weitergeführt werden. „An dieser Stelle ist erwähnenswert, dass aktuell fieberhaft an der Entwicklung noch besserer Impfstoffe und therapeutischer Möglichkeiten geforscht wird.“ Die Ärztin ist zuversichtlich: „Es wird zu einer weltweiten Eradikation des Virus kommen, wenn die präventiven und therapeutischen Maßnahmen überall in der gleichen Intensität ausgeführt werden – dafür müssen jedoch die finanziellen Ressourcen vorhanden sein.“
Die Ausrottung von SARS-CoV-2 wäre also sehr teuer und aufwändig, aber „zusammengenommen könnten all diese Faktoren dazu führen, dass der Nutzen die Kosten überwiegt, selbst wenn die Ausrottung viele Jahre dauert und ein erhebliches Risiko des Scheiterns besteht“, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Analyse.
Allerdings handelt es sich bei ihrer Arbeit um eine vorläufige Untersuchung, die noch weiter vertieft werden müsse. Die tatsächliche Durchführbarkeit müsse durch die WHO und andere Experten formell geprüft werden.
Zur Analyse von Nick Wilson und seinen Kollegen kommt ihr hier.
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