Forscher haben im Nervenzellen der Fruchtfliege ein genetisches Programm identifiziert, das vermutlich auch in menschlichen Genen existiert. Die Erkenntnisse könnten helfen, neurologische Krankheiten besser zu verstehen.
Das Gehirn einer Fruchtfliege besteht aus etwa 100.000 Nervenzellen, im menschlichen Hirn sind es fast eine Million mal so viele. Forscher der Universität Bonn wollten genauer wissen, welche Funktion bestimmte Erbanlagen der Fruchtfliege bei der Hirnentwicklung übernehmen. „Wir haben dazu gezielt einzelne Gene ausgeschaltet und uns angesehen, wie sich dadurch die Nervenzellen veränderten“, erklärt Prof. Dietmar Schmucker. „Dabei sind wir auf eine Erbanlage namens wnk gestoßen, die eine erstaunliche Doppelrolle übernimmt.“
Erstautorin Dr. Azadeh Izadifar konnte zeigen, dass das Wnk-Protein während der Entwicklung des Nervensystems für die Verschaltung der Neuronen zuständig ist. Fällt das Gen aus, zum Beispiel durch eine herbeigeführte Mutation, dann unterbleibt die Verzweigung funktionsfähiger Axone zur Signalweiterleitung. In erwachsenen Tieren scheint Wnk hingegen bereits bestehende Axone zu schützen. Wird die Erbanlage zu diesem späten Zeitpunkt ausgeschaltet, degenerieren die Verzweigungen in den erwachsenen Tieren.
„Möglicherweise sind beide Funktionen zwei Seiten derselben Medaille“, vermutet Schmucker. Denn Wnk scheint Teil eines regulatorischen Netzwerks zu sein, das sowohl den Aufbau während der Entwicklung als auch den Abbau von Nervenzellverbindungen in erwachsenen Tieren steuert. Das Gen enthält die Bauanleitung zur Kinase, die in zwei verschiedene Richtungen gehen kann: Die Wnk-Kinase reguliert und unterstützt einen Faktor, der die Nervenzellen schützt. Andererseits hemmt sie mindestens zwei weitere Proteine, die bei der aktiven Neurodegeneration von Axonen eine wichtige Rolle spielen.
Allerdings greift die Kinase möglicherweise nicht direkt in diese gegenläufigen Prozesse ein. Sie dreht an einer noch unbekannten Stellschraube und justiert dadurch die Balance zwischen Schutz und Abbau. Beide Vorgänge sind für die Funktion des Gehirns essentiell.
Vielleicht lässt sich die Wnk-Kinase im Kampf gegen neurodegenerative Erkrankungen therapeutisch nutzen – etwa, indem man sie durch einen Wirkstoff überaktiviert und so ihre Schutzfunktion für Nervenzellen stärkt, hofft Schmucker. Denn auch Menschen scheinen Wnk-Kinasen zu benötigen, um Nervenzellen schützen zu können. In diese Richtung deuten zumindest Ergebnisse einer Studie, die Wnk-Kinasen mit gleichen Funktionen bei Mäusen entdeckten. „Es ist zudem bekannt, dass bestimmte wnk-Mutationen beim Menschen zu Nervenschädigungen führen, sogenannten peripheren Neuropathien“, erklärt Schmucker. Die Arbeitsgruppe untersucht aktuell die Auswirkungen bestimmter Genmanipulationen beim Krallenfrosch, der als Wirbeltier dem Menschen ähnlicher ist.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Die Originalpublikation findet ihr hier.
Bildquelle: Vincent van Zalinge, unsplash.