Die Patientin nimmt Antipsychotika – nun ist sie schwanger. Sollten die Medikamente weiter gegeben werden? Eine Studie liefert jetzt Antworten.
Aus Angst vor negativen Auswirkungen auf das ungeborene Kind brechen viele Patientinnen die Einnahme von Psychopharmaka ab, wenn sie schwanger werden – und nehmen damit eigene Risiken in Kauf.
Das müsste nicht sein, so lautet zumindest das Fazit einer neuen Studie, die kürzlich in JAMA Internal Medicine veröffentlicht wurde.
Ihr Ergebnis: Die pränatale Einnahme von Antipsychotika scheint nicht mit einem erhöhten Risiko für eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) oder einer Frühgeburt verbunden zu sein.
Zixuan Wang von der UCL School of Pharmacy und Kollegen untersuchten in einer großen bevölkerungsbasierten retrospektiven Kohortenstudie den Zusammenhang zwischen pränataler Antipsychotika-Exposition und dem Risiko für Geburts- und Neuroentwicklungsproblemen bei Kindern.
Dabei wurden 333.749 Mutter-Kind-Paare für ADHS und 411.251 Paare für Autismus und Frühgeburtlichkeit beobachtet. Alle Kinder wurden in dem Zeitraum zwischen Januar 2001 und Januar 2015 geboren, im Jahr 2019 gab es ein Follow-up.
Insgesamt hatten Mütter von 706 Kindern (0,17 %) zwischen 2001 und 2015 pränatal Antipsychotika eingenommen. Von den Kindern erhielten 27 (3,82 %), 92 (13,03 %) und 19 (2,69 %) eine Diagnose von ASS, Frühgeburtlichkeit bzw. Kleinwüchsigkeit. Von den 547 Kindern, deren Mütter zwischen 2001 und 2013 während der Schwangerschaft mit Antipsychotika behandelt wurden, entwickelten 45 (8,23 %) eine ADHS.
Beim Vergleich von während der Schwangerschaft exponierten mit während der Schwangerschaft nicht exponierten Teilnehmern betrug die gewichtete Hazard Ratio 1,16 (95 Prozent Konfidenzintervall: 0,83 bis 1,61) für ADHS bzw. 1,06 (95 Prozent Konfidenzintervall: 0,70 bis 1,60) für Autismus-Spektrum-Störungen. Die gewichtete Odds Ratio für eine Frühgeburt wird mit 1,40 (95 Prozent Konfidenzintervall: 1,13 bis 1,75) angegeben.
Die Studienautoren kommen zu dem Schluss: Es liegen keine Hinweise darauf vor, dass die Gabe von Psychopharmaka das Risiko für ADHS, ASS oder eine Frühgeburt erhöht im Vergleich zum Risiko für Kinder, deren Mütter diese Medikamente nicht einnehmen.
Kliniker sollten „die regelmäßige Behandlung nicht aus Angst vor ADHS, ASS, Frühgeburt und geringem Gestationsalter abbrechen", wenn schwangere Frauen einen klinischen Bedarf an Antipsychotika hätten, schreiben die Studienautoren.
Viele Patienten brechen aus Unsicherheit die Behandlung mit Psychopharmaka ab, sobald sie schwanger werden, so Amanda Yeaton-Massey et. al im Editorial der JAMA-Ausgabe. Das sei aber gefährlich: „Psychiatrische Erkrankungen in der Schwangerschaft, insbesondere wenn sie unbehandelt sind, sind ein Hochrisikofaktor für schwere mütterliche Morbidität und Mortalität“, heißt es im Editorial.
Ängste oder Depressionen der Mutter vor der Geburt seien mit einem erhöhten Risiko für psychopathologische Symptome des Kindes verbunden. Im Gegensatz dazu könnten mütterliche psychiatrische Stabilität und emotionales Wohlbefinden als Schutzfaktoren angesehen werden, so Yeaton-Massey et. al.
Trotz der Ergebnisse dieser Studie ist die Entscheidung für oder gegen die Medikation in der Schwangerschaft individuell zu treffen. Dr. Jan Dreher, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, erklärt im Video genau, wie Behandler schrittweise zu einer guten Lösung für die Patientin und ihr Kind kommen können.
Bildquelle: Mateus Campos Felipe, Unsplash