Mit der Abschaffung der kostenlosen Bürgertests soll ein weiterer Impfanreiz geschaffen werden. Ich kann das verstehen. Aber ich sehe auch ein gewaltiges Problem: Die Ausgrenzung einer bestimmten Gruppe.
Seit Bund und Länder am 10. August das Ende der kostenlosen Bürgertests zum 11. Oktober 2021 beschlossen haben, denke ich viel darüber nach. Ist es Fluch oder Segen, die Tests abzuschaffen? Ich bin bei diesem Thema recht zwiegespalten, obwohl es mich unmittelbar betrifft, denn ich stehe selbst mehrfach wöchentlich in der Teststation unserer Apotheke, entnehme Abstriche und werte die Tests aus.
Allein die Zahlen sind enorm: Fast 4 Milliarden Euro haben die kostenlosen Bürgertests den Staat bisher gekostet, wie aus einer Aufstellung des Bundesamts für Soziale Sicherung hervorgeht. Impfungen gegen das Coronavirus sind inzwischen für alle kurzfristig zu bekommen, bei denen nicht irgendwelche gesundheitlichen Gründe dagegensprechen, oder für die es noch keine allgemeine Impfempfehlung gibt, also Schwangere, Kinder und Jugendliche. Auf dieser Basis ist die Entscheidung der Politik völlig nachvollziehbar. Wer sich bisher noch nicht aus freien Stücken zu einer Impfung entschlossen hat, der kann auch für seine individuelle Entscheidung bezahlen, ist der Tenor. Wer sich freiwillig und sehenden Auges in Gefahr begibt, der soll für seine Sicherung auch selbst aufkommen.
Diese Entscheidung der Politik soll vor allem dazu dienen, Menschen, die noch unsicher sind, ob sie sich impfen lassen sollten oder nicht, dazu zu bewegen, sich den schützenden Piks in den Oberarm geben zu lassen. Wenn die Entscheidung gegen die Impfung nur teuer genug wird, so die Annahme, dann wird sie schwerer durchzuhalten sein. Besonders im Hinblick darauf, dass der Beschluss von Bund und Ländern ab dem 23. August 2021 auch noch eine erweiterte Testpflicht für Ungeimpfte vorsieht.
Ganz klar sind die Kosten, die auf sie zukommen nicht, denn dazu gibt es keine einheitliche Regelung. Jeder Teststellenbetreiber wird individuell ausrechnen, wie viel er verlangen muss, um bei verminderter Auslastung seine Leute, die Ausrüstung, die Standortkosten und die Testkosten bezahlen zu können und dabei auch noch etwas zu verdienen. Es wird weniger Stationen geben und die Nutzer werden erst einmal anfangen müssen, die Kosten für die Dienstleistung zu vergleichen um nicht den teuersten Preis zu bezahlen.
Um diese jetzt schon einmal grob abzuschätzen, kann man ja mal einen Blick hinüber zu unseren Nachbarländern werfen, in denen die Tests bereits selbst bezahlt werden müssen. Am Belgischen Flughafen kosten sie zurzeit 55 Euro, in Frankreich 25 Euro und in Luxemburg 79 Euro. Ein teures Vergnügen – der Einfachheit halber und aufgrund der Kosten ist die Entscheidung zur Impfung da sicher verlockender als früher. Doch darf es sein, dass Menschen mit niedrigerem Einkommen es sich quasi nicht mehr leisten können, am gesellschaftlichen Leben in Innenräumen teilzuhaben, während reichere Leute die Testkosten problemlos übernehmen können? Kommt das nicht einer gesellschaftlichen Ausgrenzung ärmerer Personen gleich?
Wahrscheinlich ist zudem, dass gerade Menschen, die nur eingeschränkt mobil sind, gar keine Wahl mehr haben werden, bezüglich des Standorts ihrer Teststation, denn deren Anzahl wird sicherlich sinken. Das ist grundsätzlich schlecht, denn um einen guten Überblick über das Infektionsgeschehen zu haben, ist es essentiell, dass die Hürden für eine Testung nicht zu hoch liegen. Doch genau diese Hürden wurden durch die Entscheidung, Bürgertests kostenpflichtig zu machen, hochgelegt. Das RKI hat erst vor kurzem einen Strategiewechsel angeraten und die Inzidenz wird darin laut einem Bericht des Business Insider als „Seismograf der Ausbreitungsgeschwindigkeit“ bezeichnet. Wie soll dieser Seismograf allerdings funktionieren, wenn nicht mehr regelmäßig und flächendeckend getestet wird?
Außerdem: Die Tests dienen doch überhaupt nicht dem Schutz der getesteten und ungeimpften Personen, oder? Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass die Coronatests vor allem diejenigen schützen sollen, die sich nicht impfen lassen können. Wer positiv getestet wird, geht doch in Quarantäne, um die anderen zu schützen – und nicht sich selbst. Der positiv Getestete ist doch bereits erkrankt, der Test schützt ihn nicht vor den Folgen. Viele Menschen, die bei uns an die Teststation gekommen sind, sind nämlich durchaus keine unsozialen Querulanten, wie die Ungeimpften häufig dargestellt werden, sondern einfach nur ängstlich aufgrund der möglichen Spätfolgen der Impfung.
Ich habe durchaus häufiger gehört, dass man sich zwar nicht impfen lassen will, aber mit einer regelmäßigen Testung trotzdem Verantwortung für die Menschen in der nächsten Umgebung wahrnehmen möchte. Da ging es tatsächlich gar nicht vorrangig um einen Restaurant- oder Friseurbesuch, sondern um die Vorbereitung eines Besuchs der Enkel oder der schwangeren Tochter. Ob nun tatsächlich Geld ausgegeben und ein weiterer Weg bis zur nächsten Teststation nur für den Schutz anderer in Kauf genommen wird, wage ich jedenfalls zu bezweifeln. Ich verstehe das dahinterstehende Interesse, Geld einzusparen und mehr Menschen zu einer Impfung zu bewegen durchaus, halte diese Maßnahme allerdings für zu gefährlich und sozial nicht vertretbar.
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