Bei Stress greifen immer mehr Menschen zu CBD. Während der Pandemie sind besonders Ärzte und Pfleger einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt. Also morgen direkt loslegen mit der Prophylaxe?
Menschen mit medizinischen Berufen, die sich um schwerkranke COVID-Patienten kümmerten, waren in den letzten eineinhalb Jahren einer besonders hohen psychischen Belastung ausgesetzt. Ein Team um den brasilianischen Arzt José A. S. Crippa wollte herausfinden, ob die Einnahme des immer mehr in Mode kommenden pflanzlichen Wirkstoffs Cannabidiol (CBD) eine Hilfe für betroffene Berufsgruppen darstellen kann.
CBD ist ein schwach psychoaktives Phytocannabinoid mit einem günstigen Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil. Der Wirkstoff hat Studienergebnissen zufolge anxiolytische Effekte bei gesunden Probanden sowie Patienten mit sozialer Angststörung. Auch antidepressive und entzündungshemmende Wirkungen wurden in präklinischen Studien beobachtet. CBD wird mittlerweile einer Vielzahl von freiverkäuflichen Produkten zugesetzt und erfreut sich zunehmender Beliebtheit.
Wegen der potenziell positiven Eigenschaften von CBD und seines günstigen Sicherheitsprofils wollten Crippa et al. herausfinden, ob das Cannabinoid zur Verringerung von emotionaler Erschöpfung und Burnout bei Mitarbeitern eines brasilianischen Krankenhauses beitragen kann. Zum Zeitpunkt der Erhebung hatte die Region mit der ersten Welle von COVID-19-Erkrankten zu kämpfen. Sekundäre Endpunkte der randomisierten klinischen Studie waren die Bewertung von Angstzuständen, Depressionen und PTSD-Symptomen sowie die Untersuchung proinflammatorischer Zytokinspiegel und weiterer Laborwerte.
Zwischen dem 12. Juni und dem 12. November 2020 rekrutierten die Wissenschaftler 214 Mitarbeiter aus der Uniklinik der Medizinischen Fakultät Ribeirão Preto in São Paulo, Brasilien. Von ihnen wurden 120 gesunde Teilnehmer zwischen 24 und 60 Jahren ausgewählt und randomisiert, 118 erhielten schließlich die Intervention. Das anfänglich als placebokontrolliert und verblindet geplante Design der Studie wurde auf Anraten des Ethik-Komitees hin zu einem offenen Design mit verblindeter Auswertung geändert.
Bei den Probanden handelte es sich um Ärzte, Pfleger und Physiotherapeuten, welche randomisiert CBD und eine Standardbehandlung bzw. ausschließlich eine Standardbehandlung erhielten. Das CBD wurde in einer Dosierung von 300 mg eingenommen, aufgeteilt auf zwei Einnahmen pro Tag. Die Behandlungsdauer betrug 4 Wochen.
Als Standardbehandlung erhielten die Probanden Motivations- und Anleitungsvideos für körperliche Übungen mit geringer Belastung sowie wöchentliche Konsultationen mit Psychiatern, die psychologische Unterstützung anboten. Auch wurde in der Klinik auf ein angenehmes Arbeitsklima geachtet. Das Personal erhielt stets genügend Schutzausrüstung, die Möglichkeit zur flexiblen Arbeitszeiteinteilung und regelmäßige Tests auf SARS-CoV-2. Außerdem wurde zusätzliches Personal eingestellt und eine spezielle Behandlungsunit für COVID-Patienten geschaffen.
Alle Teilnehmer wurden per Handy oder Computer wöchentlich zu ihrem Zustand befragt. Zur Erfassung möglicher Nebenwirkungen diente die 15 Punkte umfassende CBD-Nebenwirkungsskala (CARE), welche auf der UKU Side Effect Rating Scale der Skandinavischen Gesellschaft für Psychopharmakologie basiert. Die Teilnehmer wurden außerdem regelmäßig von Psychiatern interviewt, die ihre Fähigkeit, mit chronischem Stress am Arbeitsplatz umzugehen, beurteilten und erfassten.
In den Gesprächen sollte festgestellt werden, ob die Probanden Kriterien für das Vorliegen eines beruflichen Burnout-Syndroms (z. B. Erschöpfung, negative Einstellung zur Arbeit und verminderte Effizienz) gemäß der Internationalen Klassifikation der Krankheiten ICD-11 erfüllten. Die Beurteilung erfolgte mittels Maslach Burnout Inventory (MBI-HSS) mit einer Skala von 0–54 Punkten. Die Psychiater standen den Probanden zusätzlich auch außerhalb der wöchentlichen Beurteilungen für psychologische Unterstützung zur Verfügung.
Tatsächlich konnten die Brasilianer einen CBD-Effekt nachweisen. Probanden mit CBD-Behandlung wiesen im Vergleich zur Kontrollgruppe kontinuierlich erniedrigte Punktzahlen beim MBI-HSS Burnout-Scoring auf, welche an Tag 28 als statistisch signifikant gewertet werden konnten. Der Unterschied betrug hier 4,01 Punkte (95 % KI, 0,43–7,59). Der Anteil der Patienten mit Burnout-Symptomen (basierend auf ICD-11-Kriterien) nahm ebenfalls in der Gruppe mit CBD-Behandlung im Verlauf des Behandlungszeitraums ab (von 40,7 % auf 28,8 %). Die statistische Signifikanz wurde hier allerdings nicht erreicht.
Auch in der Bewertung von Angstzuständen und Depression ließen sich signifikante Verbesserungen bei den Probanden mit CBD-Behandlung erzielen. Im Hinblick auf eine Verbesserung von PTSD-Symptomen waren die Ergebnisse nicht signifikant.
Zu Beginn der Studie sowie an den Tagen 7, 14, 21 und 28 wurde den Teilnehmern außerdem Blut entnommen, um die proinflammatorischen Zytokine IL-1β und TNF-α zu bestimmen. Die Autoren konnten beobachten, dass die Spiegel der proinflammatorischen Zytokine bei allen Probanden im Laufe des Versuchszeitraums anstiegen. Eine Differenz zwischen den Behandlungsgruppen konnte nicht gezeigt werden.
Die häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen waren in beiden Studienarmen Somnolenz (28,8 %), Müdigkeit (22,9 %), erhöhter Appetit (16,1 %), Durchfall (11,0 %), Gewichtszunahme (10,2 %) und Lethargie (10,2 %). Der einzige signifikante Unterschied zwischen den Gruppen war ein gesteigerter Appetit der Teilnehmer in der Kontrollgruppe im Vergleich zur Behandlungsgruppe (14 Teilnehmer [23,7 %] gegenüber 5 Teilnehmern [8,5 %]).
Während des Studienzeitraums wurden außerdem fünf schwerwiegende SARs beobachtet, die alle in der Behandlungsgruppe auftraten. Diese umfassten erhöhte Leberenzyme bei vier Teilnehmern (> 3-fach über dem oberen Grenzwert; 1 mal kritisch und 3 mal leicht) und einen Fall von schwerer Pharmakodermie. Ein leichter Fall von Pharmakodermie trat ebenfalls in der Behandlungsgruppe auf. Unter den Teilnehmern mit erheblichenErhöhungen der Leberenzyme kam es bei keinem Teilnehmer zu einem mehr als 2-fachen Anstieg der Serumbilirubin-Werte. Alle Teilnehmer erholten sich vollständig, nachdem die CBD-Therapie abgesetzt wurde.
Derzeit gibt es keine pharmakologische Behandlung für die Prävention von Burnout-Symptomen und emotionaler Erschöpfung. Studienergebnisse zeigen, dass besonders Krankenhauspersonal während der Pandemie mit Depressionen, Angstzuständen, Schlaflosigkeit und PTSD-Symptomen zu kämpfen hat. Die Ergebnisse aus Brasilien deuten zumindest darauf hin, dass eine Behandlung mit CBD in Kombination mit psychologischer Betreuung, Symptome von emotionaler Erschöpfung, Angst und Depression bei medizinischem Personal vermindern kann.
Die Entblindung relativiert den Vorteil der CBD-Gruppe allerdings deutlich. Für eine pauschale Einnahmeempfehlung reicht die Studie daher eher nicht. Und dass bei den Entzündungs-Biomarkern keine Unterschiede gefunden wurden, setzt ein weiteres Fragezeichen an die Ergebnisse. Summa summarum: Naja.
Bildquelle: Esteban Lopez, Unsplash