Tee aus den Blättern des Kratombaums soll sedierend und euphorisierend wirken. Als Legal High wird Kratom immer beliebter. Mediziner sehen in der Substanz ein potenzielles Mittel zur Drogensubstitution. Es wirkt ähnlich stark wie das Opiat Morphin, birgt aber auch Risiken.
Cafés in New York bieten Tee aus Blättern des südostasiatischen Kratombaums an, eine Tasse Tee für 10 $. Die Blätter werden in Thailand und Malaysia, trotz dortigen Verbots, als Volksmedizin und Rauschdroge eingesetzt. Ein deutscher Kratomgroßhandel berät zu speziellen Fragen, es ist zu lesen: „Sie können große Mengen kaufen, wir haben alles vorrätig, auch 100 oder 500 kg sind kein Problem.“ Brisant ist, dass Kratom ähnlich wie starke Opiate, wie Morphin, wirkt. Obwohl der Baum zu den Kaffeegewächsen gehört, agieren einige seiner Inhaltsstoffe als Opioide. Die aktiven Alkaloide Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin modulieren nachweislich Opioidrezeptoren (OR) und wirken als partielle Agonisten an M-Opiatrezeptor (MOR) und als kompetitive Antagonisten an κ-Rezeptoren (KOR) und δ-Rezeptoren (DOR). Außerdem sind beide Alkaloide G-Protein-gekoppelte Agonisten des MOR, so die Ergebnisse einer Studie. Eine weitere Studie belegt, dass Kratom auch als Agonist am α2-Adenorezeptor agiert und antientzündlich wirkt. Der Autor der Studie kritisiert allerdings fehlende Daten zur humanen Pharmakokinetik und Toxikologie.
Diese sehr heterogene und komplexe Beeinflussung des Opiatsystems erklärt die analgetische Wirkung, aber auch die Begründung, warum die Gefahr einer Atemdepression sehr gering zu sein scheint. Ähnliche Wirkprofile weisen die Opioide Buprenorphin und Nalbuphin auf. Die geringe oder fehlende Wirkung auf die Atmung ist üblich für Opioide mit partialagonistischer Wirkung. Es wird nur der Rezeptorteil belegt, der für die Analgesie, aber nicht für die Atemdepression verantwortlich ist. Um diese Annahmen zu belegen, sind Humanstudien zwingend erforderlich. Die Mitragyna-Alkaloide scheinen auch unterschiedliche Aktivitäten an anderen zentralen Rezeptoren auszuüben. So wurden Wirkungen auf adrenerge, serotonerge und dopaminerge Bindungsstellen nachgewiesen. Es bedarf weiterer Forschung, um den komplexen Wirkmechanismus der Mitragyna-Alkaloide aufzuklären und ihr volles therapeutisches Potenzial zu erschließen. Chin et al. sehen in der Modifikation der enthaltenen Alkaloide ein großes medizinisches Potenzial. Die Mitragynaderivate können als potente Schmerzmittel oder in der Suchtmedizin als Substitutionsmittel geeignet sein. Der Autor einer Studie sieht in Kratom ein Potenzial als Mittel zur Drogensubstitution. Es wirkt anxiolytisch und vermag einen Suchtdruck zu unterdrücken. Die Affinität des 7-Hydroxymitragynin-Derivates MGM-9 zum Kappa-Opioid-Rezeptor könnte die Auswirkungen der Drogenabhängigkeit möglicherweise begrenzen. „Weitere Derivate zeigten im Vergleich zu Morphin überlegene antinozizeptive Effekte. Die strukturelle Modifikation von Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin kann Verbindungen mit höherer Wirksamkeit und geringeren Nebenwirkungen im Vergleich zu Morphin erzeugen“, so die Autoren. Sie betonen aber auch, dass weitere klinische Studien am Menschen erforderlich sind, um die Verwendung dieser Substanzen im klinischen Umfeld zu validieren.
Dem grundsätzlich positiven Potenzial von Kratom als mögliches Therapeutikum steht die Gefahr der unkontrollierten Verbreitung über das Internet gegenüber. Die amerikanische Drogenbehörde Drug Enforcement Administration (DEA) möchte die Opioide Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin als „Schedule I“-Droge einstufen. Damit wäre es in derselben Gefahrenklasse wie Heroin, Ecstasy, Meskalin und Psilocybin. Das ist die höchste Verbotsstufe für Drogen mit hohem Abhängigkeitspotenzial, jedoch ohne medizinischen Nutzen. Die DEA hat die US-Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA) beauftragt, den möglichen Nutzen zu prüfen. Außerdem hat die FDA die Zollbehörden angewiesen, Importe zu beschlagnahmen. Als Begründung werden 36 Todesfälle genannt, zu denen es nach dem Konsum von Kratom gekommen sein soll. Die FDA warnt vor Kratom und sieht sich besorgt: „Studien belegen, dass Kratom ähnliche Wirkungen und Risiken wie Opiate aufweist und auch auf ähnliche Weise missbraucht werden kann. Missbrauch, Sucht und Todesfälle sind dokumentiert. In einer Zeit, in der wir einen kritischen Punkt in der Opioidepidemie erreicht haben, ist die zunehmende Verwendung von Kratom als Alternative oder Ergänzung zum Opioidgebrauch äußerst besorgniserregend“. Der Rettungsmediziner Dr. Lukas Kolm vom Wentworth-Douglass Hospital sieht in Kratomzubereitungen ebenfalls eine gesundheitliche Gefahr und betont, viele Konsumenten nähmen es „blind“ und seien sich nicht im Klaren darüber, wie es auf ihren Körper wirkt.
Die American Kratom Association will hingegen ein Verbot von Kratom unbedingt verhindern. Die Lobbyarbeit ist erfolgreich: 51 Abgeordnete des Repräsentantenhauses der USA haben in einem Brief gegen die Pläne der DEA protestiert. Die DEA hob die Bekanntmachung der Notfallplanung vorerst auf und eröffnete eine öffentliche Stellungnahme. Der Pharmakologe Gerald Gianutsos, University of Connecticut School of Pharmacy warnt vor einer Fehleinschätzung. Die meisten therapeutischen und pharmakologischen Effekte werden in anekdotischen Darstellungen beschrieben. Erst seit etwa fünf Jahren existieren wissenschaftlich fundierte Studien zu der Pflanze. Einige unerwünschte Wirkungen, die bei der hochdosierten Anwendung von Kratom berichtet werden, sind Tachykardie, Schwindel, Hypotonie, Verstopfung, Tremor, Anorexie, Krampfanfälle und Psychose. „Es gibt ein leichtes, euphorisches High. Wie das Gefühl, das bleibt, wenn man sich im Kreis dreht, wenn der Schwindel nachlässt“, so eine der unzähligen Beschreibungen über die Rauschwirkung von Kratom. „Kratompräparate werden von vielen als ein sicheres und legales, psychoaktives Produkt angepriesen, das die Stimmung verbessert, Schmerzen lindert und Vorteile bei der Opiatabhängigkeit bietet“, so der Pharmakologe Oliver Grundmann der Universität Florida.
Der Wissenschaftler führte eine Online-Umfrage unter fast 10.000 Kratom-Nutzern durch. Die Ergebnisse zeigen ein anderes Profil der User, als man es von einer „illegalen“ Freizeitdroge erwarten würde. Mehr als die Hälfte der Nutzer sind zwischen 31 und 50 Jahre alt. 82 Prozent haben mindestens ein College besucht. Fast 30 Prozent der Befragten beziehen ein Haushaltseinkommen von über 75.000 Dollar pro Jahr. Viele dieser Befragten benutzen Kratom, um sich entweder selbst von verschreibungspflichtigen Opioiden zu entwöhnen oder die Droge allein zu benutzen, um Schmerzen zu behandeln. Bezeichnenderweise produzieren die Kratomalkaloide jedoch wenig bis keine Atemdepression. Toleranz und Abhängigkeit scheinen sich langsamer zu entwickeln als bei herkömmlichen Opiaten.
In einer kleinen Querschnittstudie wurde bei 58 regelmäßigen Kratom-Usern und 19 gesunden Kontrollpersonen untersucht, ob es unter Kratom zu einer Veränderung der Blutparameter kommt. Die Ergebnisse zeigten, dass es keine signifikanten Unterschiede in den hämatologischen und klinisch-chemischen Parametern traditioneller Kratombenutzer und gesunder Probanden gab. Lediglich die HDL- und LDL-Cholesterinwerte lagen über dem normalen Referenzbereich. Der langfristige Kratomkonsum über fünf Jahre verändert die hämatologischen und biochemischen Parameter nicht. Die Aussagekraft dieser malaysischen Studie erscheint gering. Sagt sie doch nichts über die physischen und psychischen Gefahren von Kratom aus. Auch dass in den Zubereitungen potenziell toxische Verunreinigungen enthalten sein können, wird nicht erwähnt oder untersucht.
Bereits im Jahr 2010 wurde die Aufnahme von Kratom in das deutsche Betäubungsmittelgesetz durch den Sachverständigen-Ausschuss des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte geprüft. Die Beschlussfassung zu Kratom wurde vertagt, wie schon mehrere Male zuvor. Auch in dem Gesetz über neue psychoaktive Substanzen (NpSG) sucht man die Pflanze vergeblich. Bereits im Juni 2016 berichtete DocCheck darüber. Weil der Erwerb über das Internet derzeit so einfach ist wie Schuhe kaufen, sollte über eine Einstufung als Betäubungsmittel diskutiert werden.