Die Tierhalterin steht genervt vor mir: „Dann gehen wir halt zu einer anderen Praxis!“ Meine Reaktion darauf fällt in letzter Zeit immer eindeutiger aus.
Oft hört man in der Tierarztpraxis diesen Satz: „Dann gehen wir halt zu einer anderen Praxis!“ So versuchen Patientenbesitzer immer wieder, ihre Bedingungen durchzusetzen. Ob es dabei um eine bevorzugte Terminvergabe geht, den Erhalt eines verschreibungspflichtigen Medikaments, oder was auch immer. Vielleicht mag dieses Verhalten zu einer anderen Zeit oder bei bestimmten Kollegen gefruchtet haben – aber diese Zeiten sind vorbei. Heute muss man als Tierhalter damit rechnen, nach dieser Drohung nur noch freundlich zum Ausgang gebeten zu werden. Ganz nach dem Motto: „Dann gehen Sie doch!“
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich überhaupt noch etwas zu diesem Thema schreiben soll, nachdem es schon von einigen Kollegen sehr gute Artikel über die aktuelle Situation in der Tiermedizin gibt. Aber man kann nicht häufig genug über verschiedene Plattformen auf unsere Misere aufmerksam machen. Denn ein Umdenken muss stattfinden, bei uns Tierärzten, bei den ausbildenden Hochschulen, bei den Kammern und besonders bei den Tierhaltern.
Warum besonders bei den Tierhaltern? Nun das Blatt hat sich gewendet und die Zeiten, in denen ein Tierarzt zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar war, sind vorbei. Also einfach mal am Samstag durchrufen, dass man eben noch 15 Minuten vor Sprechstundenende vorbei kommt? Keine gute Idee. Oder wie häufig haben Sie das schon mal bei Ihrem Hausarzt probiert? Ach ne, der hat ja auch samstags gar keine Sprechstunde.
Viele Tierärzte und Tierarzthelfer arbeiten am Limit. Da freut sich niemand, noch spontan den Hund zu impfen, nur weil der Besitzer es vergessen hat und nächste Woche in den Urlaub will. Auch Diskussionen über die Kosten braucht keiner. Und damit meine ich nicht, dass es nicht erlaubt wäre, nachzufragen was für Kosten bei geplanten Behandlungen oder OPs anfallen. Ich meine das ewige „Puh, das ist ja ganz schön teuer, kann man da nicht noch was am Preis machen?“ Nein, kann man nicht!
Leider ist vielen Tierhaltern immer noch nicht bewusst, dass auch in unserem Bereich in den letzten Jahrzehnten große medizinische Fortschritte z. B. in Diagnostik, Ausstattung, Chirurgie gemacht wurden. Medizin kostet und ohne ordentliche Abrechnung der tierärztlichen Behandlung kann es keine ordentliche Bezahlung der Mitarbeiter geben. Und immer dran denken: In der Tiermedizin seid ihr alle Privatzahler.
Dazu kommen noch ganz andere Baustellen. Das Thema „Work-Life-Balance“ ist nämlich auch in der Tiermedizin angekommen. Durch die jahrelange Unterbezahlung bei gleichzeitiger Überarbeitung, so eine der Thesen, ist ein Großteil jener Kolleginnen, die vor ca. 3–5 Jahren mal in Schwangerschaftsschutz gegangen sind, einfach nicht zurückgekehrt in die praktische Tiermedizin. Warum auch? Notdienste, die nicht bezahlt werden; schlechte Arbeitszeiten, die kaum mit Kinderbetreuung vereinbar sind; Wochenendarbeit und dann zur Krönung noch ein Chef, der kein oder nur wenig Verständnis für die Situation seiner Mitarbeiter hat oder immer wieder wenig konstruktiv seine Unzufriedenheit durchblicken lässt? Nein, Danke!
Ich kenne eine Kollegin, die angeschrien und beschimpft wurde, sie würde „die Praxis ruinieren“, weil sie rechtzeitig mitteilen wollte, dass sie schwanger war. Also in diese Praxis wäre ich nach der Elternzeit auch nicht zurückgekehrt. Mittlerweile arbeitet sie übrigens auf dem Veterinäramt.
Denn so ist es nun mal, wenn man unzufrieden ist, ändert man etwas und geht zum Beispiel in einen anderen Berufszweig. Das führt dann auch dazu, dass praktische Tierärzte (besonders im Kleintierbereich) mittlerweile absolute Mangelware sind. Selbst Praxen mit guter Gehaltsmoral, tollem internen Klima und viel fachlicher Entfaltungsmöglichkeit finden keine tierärztliche Unterstützung mehr. Oder vielleicht sollte ich generell „Unterstützung“ schreiben, denn bei den tiermedizinischen Fachangestellten sieht es leider nicht anders aus. Die jahrzehntelang vernachlässigte Preiskultur und die (Selbst-) Ausbeutung des Personals unseres Berufsstandes machen sich bemerkbar.
Und die Tierkliniken mit ihrem 24-Stunden-Notdienst? Nun, die haben die meisten Probleme, was den Nachwuchs angeht. Denn Mitarbeiter mit einem so hohen Ausbildungsstand zu finden, die bereit sind, bei geringem Gehalt im Schichtdienst inkl. Wochenend- und Feiertagsdiensten zu arbeiten, ist heute schwer. Womit wir auch schon beim Thema „Kliniksterben“ sind.
Es rächt sich nun, dass arbeitsrechtliche Missstände in den Kliniken jahrelang ignoriert wurden und junge Mitarbeiter einfach verheizt wurden. Seit ein paar Jahren muss die Arbeitszeit nun erfasst werden. Wo vor ein paar Jahren noch zwei Tierärzte ein komplettes Wochenende runtergerockt haben, müssen nun mindestens 6 Kollegen ran. Denn es gilt das Arbeitszeitgesetz und seine Einhaltung wird in letzter Zeit auch von den Behörden kontrolliert.
Die Kliniken brauchen dementsprechend noch mehr Personal – das kostet. Da gibt man seinen Klinikstatus auf und macht nur eine Notfallsprechstunde am Samstag, kann dafür aber seine Mitarbeiter halten … eventuell. Die Alternative: Mehrkosten werden durch Investoren übernommen, die mittlerweile flächendeckend große Tierkliniken aufkaufen. Wenn euch also demnächst ein Tierarzt erzählt, er werde von Nestlé bezahlt, steckt da nicht die sagenumwobene Futtermittel-Verschwörung hinter. Die Tierklinik wurde schlicht aufgekauft.
Ich kann Tierhaltern also nur empfehlen, dass sie sich rechtzeitig informieren: Wo ist die nächstgelegene Tierklinik? Ist ihr Haustierarzt Teil eines Notdienstringes? Wohin können sie im Notfall fahren? Außerdem sollte man Besitzern empfehlen, dass sie vor einem Notfall in der Klinik oder Praxis anrufen. Denn es kann sein, dass dort gerade ein anderer Notfall in den OP geschoben wird und mit Wartezeit zu rechnen ist.
Außerdem sollten Tierbesitzer sich fragen: Ist das jetzt ein Notfall bei meinem Tier? Viel zu häufig sehen wir immer noch verschleppte Erkrankungen im Notdienst, die ohne Probleme zwei Tage zuvor hätten behandelt werden können. Man wollte sich nur keine Zeit zu den normalen Öffnungszeiten nehmen. Am Telefon zu dramatisieren, damit man noch dazwischen geschoben wird, ist übrigens auch keine gute Idee! Wir wissen sehr gut, dass man sich Sorgen um sein Tier macht, denn fast alle von uns sind selber Tierhalter. Es bringt einen Tierarzt aber auf die Palme, wenn ein „komatös“ angemeldeter Hund schwanzwedelnd in den Behandlungsraum läuft.
Wenn die Situation sachlich und freundlich erklärt wird, kann immer eine Lösung bzw. ein Behandlungszeitraum für das Tier gefunden werden. Denn fangen Tierhalter an, das Personal wild zu beschimpfen (ja, das kommt vor, oft sogar), wird das nach hinten losgehen und die Behandlung kann verweigert werden (sofern die gesundheitliche Situation des Patienten es zulässt).
Denn nein, wir müssen nicht alle Tiere behandeln, besonders nicht, wenn kein Vertrauensverhältnis zwischen Halter und Tierarzt besteht. Inzwischen kommen immer mehr Patienten (Stichwort: Corona-Hunde) auf immer weniger Tierärzte. Dadurch können Praxen und Kliniken entscheiden, welche Tierhalter sie aufnehmen und welche nicht. Und eine gewisse Kundenauswahl läuft immer über das Preisniveau.
Die Gebührenordnung für Tierärzte erlaubt zum Beispiel mittlerweile im Notdienst eine Abrechnung im 4-fachen Satz, wo bis Januar 2020 bis maximal zum 3-fachen Satz der GOT abgerechnet wurde. Auch eine Notdienstgebühr von Netto 50 Euro pro Patient muss (!) bei einem Besuch im Notdienst abgerechnet werden. Da kann man nur allen Tierhaltern empfehlen, eine Krankenversicherung für ihren Liebling abzuschließen.
Wie geht es jetzt weiter? Gibt es einen Weg raus aus diesem Teufelskreis? Meiner Meinung nach müssen sich mehrere Dinge grundlegend in unserer Branche ändern. Beginnend bei der Ausbildung an den Hochschulen: praxisnähere Studienfächer, Ausbildung in Personalführung und Betriebswirtschaft und Lehre von Soft Skills. Was die Arbeitsbedingungen in Kliniken und Praxen angeht, sollten dringend häufiger Überprüfungen von Seiten der Kammerorgane erfolgen. Werden die Arbeits- und Ruhezeiten eingehalten? Was passiert mit den Überstunden? Der Beruf des praktischen Tierarztes muss wieder attraktiv sein und dringend sein Ausbeuter-Image loswerden. Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (BPT) hat immerhin einen Forderungskatalog zur Bundestagswahl veröffentlicht.
Das sind nur wenige Vorschläge für ein großes umfassendes Problem. Viele Tierärzte hätten sich schon vor Jahren, als sich die Probleme zusammenbrauten, gewünscht, von höherer Stelle umfassende Lösungsstrategien zu bekommen. Doch wie so oft wird nur langsam und vorsichtig reagiert, viel zu lange werden Probleme ignoriert. Tierhalter können zurzeit nur hoffen, dass sich die Situation eventuell in den nächsten Jahrzehnten (ein Tierarzt studiert mindestens 11 Semester) wieder ändert.
Bildquelle: Ihor Malytskyi, unsplash