„Hau drauf!“ – ein Ausruf, der viele Zuschauer bei Olympia schockierte. Eine gepeinigte Reiterin, ein mit Gertenhieben drangsaliertes Pferd und eine brüllende Trainerin hinterließen Spuren in der Szene.
Gold war für die deutsche Fünfkampf-Olympionikin Annika Schleu schon in Reichweite. Das ihr zugeloste Pferd Saint Boy war jedoch anderer Meinung. Die Situation geriet schnell außer Kontrolle – und sorgte für Diskussionen, auch in der Pferdesport-Szene.
Der Moderne Fünfkampf (auch Pentathlon genannt) ist eine Vielseitigkeits-Sportart, die sich aus fünf einzelnen Disziplinen in Form eines Mehrkampfes zusammensetzt. Neben dem Pistolenschießen gehören auch Degenfechten, Schwimmen, Querfeldeinlauf und Springreiten dazu. Die anfangs nur von Militärs und Polizisten ausgeführte Sportart ist seit 1912 Bestandteil olympischer Sommerspiele.
Schleu startete als Führende ins Springturnier. Das ihr zugeloste Pferd verweigerte jedoch mehrfach, weshalb sie letztendlich ohne Wettkampfpunkte auf Gesamtrang 31 landete.
Das Regelwerkt des Dachverbands Union Internationale de Pentathlon Moderne (UIPM) gibt vor, dass die Sportler vor dem Turnier nur 20 Minuten Zeit haben, sich mit dem zugeteilten Pferd vertraut zu machen. Schleu und Saint Boy fanden offensichtlich keinen gemeinsamen Nenner, weshalb das Pferd blockierte. Die sichtlich überforderte Sportlerin saß tränenüberströmt und mit den Nerven völlig am Ende auf dem Tier.
Als letzten Ausweg entschied sie sich für den Einsatz ihrer Gerte, mit der sie mehrfach auf das Pferd einschlug. Währenddessen feuerte sie Bundestrainerin Kim Raisner mit den Worten „Hau mal richtig drauf! Hau drauf!“ von hinten an. Saint Boy blockierte unterdessen umso mehr. Aufgrund viermaligen Verweigerns während des Spring-Parcours wurde der Wettkampf beendet.
Während der Deutsche Verband für Modernen Fünfkampf (DVMF) den Vorfall als negativ empfunden hat und die Situation als „unglückliche Konstellation“ beschrieb, sagte Klaus Schormann (Präsident der UIPM) hingegen: „Alles war genial, war super.“ Es habe zwar vielleicht ein paar Momente gegeben, die er als nicht so schön bezeichnen würde, aber dennoch hält er fest: „Die Pferde sind absolut exzellent.“ Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hatte zuvor jedoch schon eine Änderung des Regelwerks gefordert, das „Pferd und Reiter schützt“. Für den DOSB stehe das „Wohl der Tiere und faire Wettkampfbedingungen für die Athleten […] im Mittelpunkt“
Die Eskapaden rund um Bundestrainerin Raisner zogen rasch Konsequenzen nach sich. Der Weltverband hat sie für den weiteren Verlauf von den olympischen Sommerspielen ausgeschlossen. Nach der Durchsicht von Videoaufnahmen, auf denen deutlich zu sehen war, wie Raisner das Pferd geschlagen und zusätzlich die Athletin dazu aufgefordert hatte, härter mit der Gerte auf das Pferd zu schlagen, beschloss der UIPM-Vorstand die Suspendierung.
Währenddessen schlugen Schleu in den sozialen Netzwerken Wellen an Hasstiraden entgegen. Neben den wüstesten Beschimpfungen wird ihr auch Tierquälerei an den Kopf geworfen. Viele fordern sogar den Ausschluss aus dem Sportverband. Der DVMF wehrte sich lautstark dagegen und kritisierte, „dass eine Sportlerin persönlich beschimpft und beleidigt wird“. Statt Hass und Beleidigungen wünsche man sich „eine konstruktiv-sachliche Debatte“.
Wer selbst regelmäßig reitet und den Umgang mit Pferden kennt, weiß, dass ein Tier mit mehreren Hundert Kilogramm Körpergewicht nicht mit Samthandschuhen angefasst werden muss. Gleichzeitig ist es auch unbestritten, dass Pferde äußerst sensible Tiere sind, die in emotionsgeladenen Situationen und unter unbekanntem Reiter mit Ungehorsam, Panik und massivem Widerstand reagieren können.
In einem solchen Ausnahmezustand als Reiter zusätzlich mit Verzweiflung, Wut und Aggression zu reagieren, kann nicht zum gewünschten Erfolg führen. Der Vorfall rund um Schleu zeigte wieder einmal, dass Tiere keine Sportgeräte sind und dass solche Wettbewerbe nur durch eine bedingungslose Zusammenarbeit zwischen Pferd und Athlet funktionieren können.
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