Ein biologisches Frühwarnsystem für kardiovaskuläre Schäden nach einer Corona-Infektion – das entdeckten Forscher aus Hannover. Der Biomarker liefert wichtige Erkenntnisse zur Versorgung von COVID-19-Patienten
Bei einer Infektion mit dem Coronavirus ist nicht nur die Lunge, sondern auch das Herz und die Gefäße in Gefahr: In schlimmen Fällen kann es im Zuge einer überschießenden Immunreaktion – einem Zytokinsturm – zu krankhaften Veränderungen des Bindegewebes bis hin zur einer lebensgefährlichen Lungenfibrose kommen. Besonders Patienten mit vorbestehenden Herzerkrankungen können z. B. von einem akuten Atemnotsyndrom (ARDS) während einer Coronainfektion betroffen sein.
Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover konnten nun einen Biomarker mit Vorhersagepotenzial für kardiovaskuläre Schäden bei schwerstkranken COVID-19-Patienten identifizieren: sogenannte kodierende Mikro-RNAs (miRs). „Wir haben angenommen, dass nicht kodierende Mikro-RNAs, die keine Baupläne für genetische Informationen tragen, eine wesentliche regulatorische Rolle bei der überschießenden Immunreaktion und den anschließenden Umbauarbeiten im Bindegewebe der Lunge und des Herzens spielen“, erklärt Studienleiter Prof. Thomas Thum.
Das Forscherteam um Thum untersuchte die Mikro-RNA-Konzentrationen im Blutserum von 38 kritisch kranken intensivmedizinisch beatmeten COVID-19-Patienten mit Lungenentzündung und verglich die Ergebnisse mit denen der Kontrollgruppen aus 28 intensivpflichtigen Influenza-Patienten mit ARDS und 47 gesunden Probanden.
„Wir haben in unseren Untersuchungen festgestellt, dass diejenigen Mikro-RNAs, die bekanntlich eine Herz- oder Gefäßbeteiligung anzeigen, vor allen Dingen in den COVID-19-Patienten hochreguliert waren. Das deutet darauf hin, dass SARS-CoV-2 nicht nur das Atmungssystem angreift, sondern auch das Herz- und Gefäßsystem“, fügt Dr. Anselm Derda, einer der Erstautoren hinzu.
Die Untersuchungen der Blutseren von schwerstkranken COVID-19-Intensivpatienten im Vergleich zu den ebenfalls mechanisch beatmeten Influenza-Patienten mit ARDS ergaben, dass bei den COVID-19-Intensivpatienten insbesondere entzündungsfördernde und herzmuskelspezifische miRs signifikant hochreguliert waren.
Auch das mit der gefährlichen Fibrose einhergehende miR-21 war bei den COVID-19-Patienten im Vergleich zu Gesunden und Influenza-ARDS-Patienten erhöht.
„Die Ergebnisse zeigen, dass der gezielte Nachweis von miRs-Profilen im Blut eine sehr differenzierte Unterscheidung kritisch kranker COVID-19-Patienten von schwer kranken Influenza-ARDS-Patienten und Gesunden erlaubt“, betont Thum. Dies könnte den Forschern zufolge klare Konsequenzen für die Behandlung sowohl akut erkrankter COVID-19-Patienten zu Beginn der Erkrankung als auch in der Nachsorge nach Genesung haben, „indem wir noch bevor es zur Schädigung von Herz und Gefäßen kommt, anhand der miRs-Konzentrationen eine mögliche kardiovaskuläre Belastung im Krankheitsverlauf und Wochen nach der Genesung auf Folgeschäden untersuchen können.“
Der MikroRNA-Ansatz könnte zudem für neue Therapien von großem Nutzen sein, wie Thum erläutert, denn „mit Mikro-RNAs können wir den Rezeptor, der das SARS-CoV-2-Virus in die Herzmuskelzellen oder in die Lungenzellen aufnimmt, regulieren und so verhindern, dass das Coronavirus in die Zellen aufgenommen werden kann.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Herzstiftung. Die Originalpublikation könnt ihr hier nachlesen.
Bildquelle: lucas law, unsplash.