Ob sich Personen mit Vorerkrankungen wie MS gegen COVID-19 impfen lassen sollten, wird seit Beginn der Impfkampagne diskutiert. Die Empfehlungen bleiben eindeutig – und werden jetzt weiter unterfüttert.
Während der COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt, wie schnell die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen ablaufen kann. Die daraus resultierende Impfkampagne läuft nun schon länger als ein halbes Jahr. Dennoch bestehen Unsicherheiten bei der Impfstoffwirksamkeit bei denjenigen, die immunsuppressive und/oder immunmodulatorische Medikamente einnehmen müssen, unter anderem um Multiple Sklerose (MS) in einer krankheitsmodifizierenden Therapie zu behandeln. Eine Preprint-Studie untersuchte nun die Auswirkung einer krankheitsmodifizierenden MS-Therapie auf die Immunantwort, die durch eine COVID-19-Impfung ausgelöst wird.
Es handelt sich um eine multizentrische Studie, die eine Kohorte aus 473 Menschen mit MS umfasst. Dabei stellten 5 britische MS-Zentren eine oder mehrere dried blood spots-Proben bzw. Testkassetten der Probanden sowie Fragebögen zu COVID-19 zur Verfügung. Informationen über die krankheitsbedingte und medikamentöse Anamnese wurden aus den Krankenakten der jeweiligen Probanden entnommen. Die Proben der Teilnehmer wurden eluiert und auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 getestet. Die Seropositivität wurde als Cut-off-Index angegeben. Die Antikörpertiter wurden in Tertile unterteilt, wobei Daten von Personen, die keine krankheitsmodifizierende Therapie erhielten, als Referenz verwendet wurden.
Insgesamt wurde die Seropositivität bei 58 Probanden, die noch keine Impfung erhielten, untersucht. Davon waren 89,7 % seronegativ auf SARS-CoV-2. Im Vergleich wurde bei Einsatz einer krankheitsmodifizierenden Therapie mit Anwendung von monoklonalen CD20-Antikörpern eine Odds Ratio von 0,03 ermittelt, bei Fingolimod eine von 0,41. Die beiden Therapien wurden zusätzlich mit einer niedrigeren Serokonversion nach Erhalt der COVID-19-Impfung assoziiert. Bei allen anderen untersuchten Medikamentengruppen (Natalizumab, Alemtuzumab, Dimethylfumarat, Cladribin, Glatirameracetat, Interferon-Beta und Teriflunomid) traten keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zur unbehandelten Kohorte auf.
Die Zeit seit der letzten Anti-CD20-Behandlung und die Gesamtzeit der Behandlung standen ebenfalls in einem signifikanten Zusammenhang mit dem Ansprechen auf die Impfung. Dabei erhielten die Probanden mehrheitlich Impfstoffe von Pfizer/Biontech oder AstraZeneca. Zudem wurde der Einfluss vom Impfstofftyp auf den SARS-CoV-2-IgG-Titer untersucht. Jedoch konnte bei einer Behandlung mit monoklonalen CD20-Antikörpern kein signifikanter serologischer Unterschied festgestellt werden. In der Kontrollgruppe zeigte sich demnach ein höherer IgG-Titer in denjenigen, die mit Comirnaty® geimpft wurden, als in den Personen, die den AstraZeneca-Impfstoff erhielten.
Laut Autoren weisen die Ergebnisse auf eine abgeschwächte Reaktion nach einer SARS-CoV-2-Impfung bei Menschen mit MS hin. Diese ist abhängig von der krankheitsmodifizierenden Therapie, die sie erhielten.
Daten aus Israel haben bei einer Impfung gegen SARS-CoV-2 keine unerwarteten Nebenwirkungen in Bezug auf MS gezeigt. Demnach wurde die Anwendung des mRNA-Impfstoffs von Pfizer/Biontech bei rund 500 MS-Patienten untersucht. Lediglich drei Personen wiesen dabei eine SARS-CoV-2-Infektion auf, jedoch hatten die Betroffenen zu dem Zeitpunkt nur eine Dosis erhalten. Unter den Nebenwirkungen wurden Schmerzen an der Injektionsstelle, Fatigue und Kopfschmerz erfasst. Über den Nachbeobachtungszeitraum von bis zu 38 Tagen nach Erhalt der zweiten Dosis wurde kein erhöhtes Rückfallrisiko festgestellt.
Bei Patienten, die unter Behandlung mit immunmodulatorischen Arzneimitteln standen, wurde nur ein leichter Anstieg der Nebenwirkungsrate festgestellt. Daraus schlossen die Forscher, dass die Impfung mit Comirnaty® sicher für MS-Patienten sei.
Laut Robert-Koch-Institut (RKI) sei eine Erkrankung an MS prinzipiell keine Kontraindikation zur Durchführung einer Impfung. Insbesondere da Infektionserkrankungen bei MS-Patienten das Risiko für einen Schub erhöhen können, sei ein Schutz wichtig. Gleichzeitig erhöhen auch die immunmodulierenden Medikamente das Risiko für Infektionserkrankungen.
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) empfiehlt ebenfalls weiterhin eine Impfung gegen SARS-CoV-2 bei MS. Weitere konkrete Daten müssten vorliegen, um das Risiko-Nutzen-Verhältnis abzuwägen. Zudem sei das Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken derzeit höher und würde eine mögliche Verschlechterung der MS zur Folge haben. Dabei gilt, dass für eine Impfung eine MS-Therapie nicht unterbrochen werden sollte.
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