Arzneimitteltherapiesicherheit – ein wichtiges Thema für Ärzte und Apotheker weltweit. In Österreich versucht Sanofi gerade, Einträge aus einem Arzneimittelinformationssystem per Gerichtsbeschluss entfernen zu lassen. Die Faktenlage ist alles andere als eindeutig.
Seit 1922 ist Metamizol (Novalgin®) in Deutschland erhältlich. Das Arzneimittel sorgt fast 100 Jahre nach seiner Markteinführung für Kontroversen zwischen zwei ungleichen Gegnern: Sanofi, mit 33,7 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 110.000 Angestellten weltweit (2014) einer der Giganten, steht das kleine Startup Diagnosia Auge in Auge gegenüber. Bereits Ende 2014 reichte Goliath Klage gegen David ein. Der Stein des Anstoßes: Welche Wechselwirkungen zeigt Metamizol tatsächlich?
Zum Hintergrund: Im Jahr 2011 gründeten die Ärzte Lukas Zinnagl und Fritz Höllerer zusammen mit dem Wirtschaftsinformatiker Marco Vitula die Diagnosia Internet Services GmbH mit Sitz in Wien. Dort verfolgen Mediziner, Software-Entwickler und Betriebswirte ein hehres Ziel. Sie wollen Pharmakotherapien sicherer machen. Eine der wichtigsten Entwicklungen ist Diagnosia Enterprise. Das Paket hilft Ärzten im klinischen Umfeld, pharmakotherapeutische Entscheidungen zu fällen – auf Basis wissenschaftlicher Informationen und herstellerunabhängig, wie Diagnosia betont. Mit Diagnosia Check, einem Modul der Enterprise-Lösung, bewerten Mediziner Arzneimittel hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen. Auch der Evidenzgrad ihrer Resultate wird in Form von Scores dargestellt. Dahinter verbirgt sich eine Datenbank, an deren Entwicklung unter anderem das schwedische Karolinska Institutet beteiligt war. Mit ihren Tools haben sich die Jungunternehmer nicht nur Freunde gemacht.
Etwas überraschend geht es in der aktuellen Kontroverse um den Analgetika-Opa Metamizol. In Österreich ist das Pharmakon zugelassen, in vielen anderen Ländern jedoch nicht mehr. Diagnosia warnte über Informationstools vor möglichen Wechselwirkungen mit 114 Arzneistoffen. Sanofi teilt diese Auffassung nicht. In der Broschüre „Raus aus dem Schmerz“ heißt es: „Novalgin® besitzt ein ausgewogenes Sicherheitsprofil und ein geringes Interaktionspotential.“ Bereits im Oktober 2014 forderte der Hersteller Diagnosia deshalb auf, Daten zu entfernen, die in Verbindung stehen, außer diese seien in der Fachinformation erwähnt worden. Damit nicht genug: Krankenhäuser sollten angeschrieben und Apotheker flächendeckend per Annonce informiert werden. Diagnosia stellte sich quer. Sanofi habe versucht, Diagnosia „mehrfach durch massiven Druck dazu zu bewegen, die Inhalte des Moduls Diagnosia Check zu Gunsten von Novalgin zu verändern“, berichtet der gescholtene Software-Hersteller. In den Schreiben seien kommerzielle Interessen betont worden, während die Patientensicherheit kein Thema gewesen sei. Auf Anfrage von DocCheck äußern sich Dr. Lukas Zinnagl und Marco Vitula: „Wir haben das Gefühl, dass Sanofi-Aventis durch das aggressive Vorgehen versucht, für Ärzte relevante Informationen soweit abzuändern, dass diese für das Präparat vorteilhaft erscheinen.“ Sanofi äußerte sich gegenüber DocCheck mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht.
Dafür berichtet Diagnosia über wissenschaftliche Hintergründe. Sanofi argumentiere vor allem, Metamizol sei kein NSAID. Diese Aussage untermauert Professor Dr. Eckhard Beubler mit einem Gutachten. Der emeritierte Hochschullehrer schreibt, es gäbe kein international anerkanntes Werk, das Metamizol dieser Klasse zuordne. Zwei wissenschaftliche Partner Diagnosias, nämlich Kari Laine und Tuomas Korhonen, bewerteten manche Aussagen als „wissenschaftlich fragwürdig“, „einseitig“ oder „irreführend formuliert“. Sie verweisen auf „Stockley's Drug Interactions“, auf Fachartikel sowie auf Bewertungen der Europäischen Arzneimittelagentur EMA. Ihre Quellen klassifizieren das Pharmakon als NSAID, inklusive aller genannten Interaktionen. Unabhängig davon wirkt Metamizol als COX-Inhibitor, auch wenn noch nicht alle Mechanismen aufgeklärt worden sind. Das hören nicht alle Beteiligten gerne. Trotz mehrfacher Untermauerung durch Expertenmeinungen und Studien hätte Sanofi-Aventis versucht, Druck auszuüben, um „schnellstmöglich unangenehme Informationen zu entfernen“, so Zinnagl und Vitula weiter. Beubler selbst ist als Koryphäe ebenfalls umstritten. Von Sanofi bekam er Honorare als Referent, und die frühere Hoechst AG ehrte ihn mit Preisen. Beublers ehemalige Wirkungsstätte, die Medizinische Universität Graz, erhält von der Sanofi-Aventis-Stiftung Fördergelder „für die Auszeichnung besonderer wissenschaftlicher Leistungen und Publikationen“.
Angesichts dieses Disputs war eine außergerichtliche Klärung nicht mehr möglich. Im Dezember reichte Sanofi Klage gegen Diagnosia ein. Die Vorwürfe: Ruf- und Kreditschädigung. Der vorläufige Streitwert: 20.000 Euro. Zeitgleich hat Sanofi versucht, die strittigen Inhalte per einstweiliger Verfügung aus der Interaktionsdatenbank entfernen zu lassen. Justitias Vertreter lehnten dies ab. Zinnagl und Vitula hoffen jetzt, die Auseinandersetzung könne „eindeutig aufzeigen, dass Systeme zur Arzneimitteltherapiesicherheit von Pharmaunternehmen unabhängig sein müssen“.