Der Weg der Spermien durch den weiblichen Genitaltrakt lässt sich in einem Computermodell simulieren. Damit sollen Erkenntnisse für eine erfolgreiche Reise gewonnen werden – bei Mensch und Tier.
Bei einer Paarung von Wildtieren überträgt ein Männchen Millionen von Spermien in den weiblichen Fortpflanzungstrakt. Auf dem Weg zur Eizelle müssen die Spermien den weiblichen Genitaltrakt passieren. Bei dieser Passage sinkt die Anzahl der Spermienzellen, die weiterkommen, dramatisch ab, nur wenige kommen in Reichweite der Eizellen. Die wenigen erfolgreichen Spermien werden dann auf die Befruchtung vorbereitet.
Die Mechanismen, die dieser Selektion und somit dem Fortpflanzungserfolg zugrunde liegen, sind immer noch weitgehend unverstanden, da ihre experimentelle Untersuchung im lebenden Zustand aus ethischen und praktischen Gründen kaum möglich ist. Ein besseres Verständnis von Spermienmigration und -selektion im Kontext unterschiedlicher Fortpflanzungssysteme bei Wildtieren ist von großem Interesse, um Probleme zu erkennen sowie Techniken der assistierten Fortpflanzung wie die künstliche Besamung zu optimieren.
Das Wissenschaftsteam entwickelte ein Raum-Zeit-Modell des weiblichen Genitaltraktes, in dem sich die Spermien als individuelle Agenten mit spezifizierten Eigenschaften nach definierten Regeln bewegen und mit dem weiblichen Genitaltrakt in Wechselwirkung treten. So wurde die Spermien-Migration als Computersimulation untersucht. Die Geometrie des weiblichen Genitaltrakts sowie die biophysikalischen Prinzipien der Spermienbewegung, wie sie im Reagenzglas beobachtet werden können, also die Eigenschaften und Verhaltensregeln, die den Spermien zugeschrieben wurden, lehnten sich eng an das Fortpflanzungssystem der Rinder an. So schwimmen Spermien bevorzugt gegen einen Flüssigkeitsstrom (positive Rheotaxis) und bewegen sich entlang von Wandstrukturen (Thigmotaxis).
Um sicherzustellen, dass das Modell lebensnah die tatsächlichen Bewegungen der Spermien abbildet, wurden die Ergebnisse aus der Simulation mit publizierten Daten, die von lebenden Tieren stammen, verglichen. Es stellte sich heraus, dass beispielsweise die beobachtete Anzahl an Spermien, die in einer bestimmten Zeit den Eileiter erreichen, mit der in den Simulationen produzierten Anzahl übereinstimmte.
„Wie erwartet fanden wir, dass physikalische Eigenschaften wie die Geschwindigkeit und die Geradlinigkeit der Spermienbewegung für erfolgreiche Spermien wesentlich sind. Allerdings hat die Fähigkeit der Spermien, gegen den Strom des Sekrets des Gebärmutterhalses zu schwimmen sowie sich an den Wänden des Genitaltrakts entlang zu bewegen, einen enormen zusätzlichen Einfluss für eine erfolgreiche Migration“ erklärt Jorin Diemer, Doktorand an der Humboldt-Universität zu Berlin. Karin Müller, Leiterin des andrologischen Labors am Leibniz-IZW, schlussfolgert, „dass diese identifizierten Eigenschaften künftig bei der Konditionierung von Spermien in Verfahren der künstlichen Fortpflanzung berücksichtigt werden müssen, bei denen natürliche Selektionsprozesse normalerweise umgangen werden.“
Das ist besonders wichtig, da es artspezifisch ein optimales Zeitfenster für die Ansammlung von Spermien im Eileiter mit Bezug zum Zeitpunkt des Eisprungs gibt, wo die Eizellen zur Befruchtung freigesetzt werden. „Der große Vorteil unseres Modells ist seine Ausbaufähigkeit“, unterstreicht Edda Klipp, Professorin für Theoretische Biophysik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Vorhersagen, die in diesem experimentellen System der Computersimulation generiert werden, haben das Potenzial, die assistierte Fortpflanzung bei bedrohten Tierarten, Nutztieren und beim Menschen zu verbessern, ohne dass Tierversuche zum Einsatz kommen.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin. Hier findet ihr die Originalpublikation.
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