Eine neue Auswertung von AOK-Daten zeigt, dass in Deutschland wesentlich mehr COVID-Patienten mit ECMO-Beatmung versterben als anderswo. Sind wir schlechter? Oder was ist los?
Welche intensivmedizinischen Patienten mit COVID-19 sollten mittels extrakorporaler Membranoxygenierung (ECMO) versorgt werden? Prof. Dr. Christian Karagiannidis, Leiter des ARDS- und ECMO-Zentrums Köln-Merheim der Universität Köln und Professor für extrakorporale Lungenersatzverfahren an der Universität Witten/Herdecke, fasste die Leitlinienempfehlungen im Gespräch mit DocCheck kurz zusammen: Wenn die normale intensivmedizinische Versorgung inklusive Bauchlage bei Patienten mit schwerem durch SARS-CoV-2 ausgelöstes ARDS ausgeschöpft ist, komme die ECMO ins Spiel. Nicht zu spät sollte das passieren, wobei über die genauen Grenzwerte für Sauerstoffsättigung bzw. Sauerstoffpartialdruck diskutiert werden könne. „Das hat sich im Laufe der Pandemie auch nicht groß geändert“, so Karagiannidis.
Prinzipiell kann die ECMO beim SARS-CoV-2-ARDS die Sterberate bei beatmeten Patienten um 50 bis 80 Prozent senken. Dafür sprechen unterschiedliche Datensätze aus High-Volume-Zentren. Umso erstaunlicher, was jetzt eine Analyse deutscher Versorgungsdaten der AOK zeigt, die Karagiannidis und Kollegen im American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine publiziert haben. Sie bezieht sich auf den Zeitraum bis Dezember 2020, damit auf die ersten beiden Wellen der COVID-19-Pandemie in Deutschland. Ausgewertet wurden mehr als 700 ECMO-Behandlungen.
Das ist eine ganze Menge bei einer solch hoch invasiven Methode, und die Sterblichkeit ist mit rund 70 Prozent deutlich höher als in anderen Ländern. In einer internationalen Metaanalyse wurde die durchschnittliche Sterblichkeit auf lediglich 37 Prozent der ECMO-Patienten beziffert, und in der europäischen EURO-ELSO-Befragung waren es ebenfalls „nur“ 35 bis 40 Prozent. Was ist da los in Deutschland? Karagiannidis und Kollegen haben sich Patienten und Rahmenbedingungen genauer angesehen, und sie wollen auch noch eine weitere, detailliertere Auswertung veröffentlichen. Klar ist schon jetzt: Wahrscheinlich ist es eine komplexe Gemengelage, die auch mit den Spezifika der deutschen intensivmedizinischen Versorgung zusammenhängt.
Ein genauerer Blick in das Patientenkollektiv zeigt, dass die COVID-Patienten, die in Deutschland eine ECMO bekommen, etwas älter sind als in internationalen Kohorten. „Mit im Mittel 58 Jahren waren sie aber auch in Deutschland nicht wirklich alt“, so Karagiannidis. Zum Vergleich: Das mittlere Alter aller COVID-Patienten auf Intensivstation lag im Jahr 2020 bei 68 Jahren. Die ECMO-Patienten sind also – in Deutschland wie international – ein selektiertes, jüngeres Kollektiv. Anders formuliert: Es ist nicht so, dass jeder, der drohte, an COVID zu sterben, eine ECMO bekam, einfach weil es in Deutschland genug dieser Maschinen gab.
Eine der guten ECMO-Verfügbarkeit in Deutschland geschuldete, eher „liberale“ Indikationsstellung hält Karagiannidis trotzdem für zumindest eine Teilerklärung des Sterblichkeitsunterschieds zwischen Deutschland und anderen Ländern. Das allein reicht ihm als Erklärung aber nicht, zumal der Mortalitätsunterschied in allen Alterskohorten nachweisbar ist. Selbst in der „günstigen“ Alterskohorte der 18- bis 49-Jährigen betrug die Sterblichkeit an der ECMO in Deutschland satte 56 Prozent. Die Quote steigt dann bis auf 88 Prozent bei Patienten ab 70 Jahren. Die (erwartete) Altersabhängigkeit bei der ECMO-Sterblichkeit zeigt sich demnach in Deutschland sehr gut und analog zu anderen Ländern.
Zu den Unterschieden beigetragen haben könnte neben der Patientenselektion außerdem, dass die ECMO bei den deutschen COVID-19-Patienten häufiger zu spät begonnen wurde. Internationale Daten, unter anderem aus Frankreich, sprechen für einen klaren Zusammenhang zwischen früherem ECMO-Beginn und Überleben. Und auch in den deutschen Daten zeigt sich, dass die Mortalität bei den Patienten am geringsten war, die innerhalb von drei Tagen nach Beginn einer mechanischen Beatmung an die ECMO angeschlossen wurden.
Könnte es demnach sein, dass manche Intensivstationen in der zweiten Welle zu lang gewartet haben, bevor sie eine nicht-invasive Beatmung (NIV) in Richtung invasive Beatmung bzw. dann ECMO eskalierten? Haben die öffentlichen Diskussionen und diverse vorschnelle Experteneinlassungen des Sommers 2020, in denen – neben vielen anderen Dingen – auch immer wieder suggeriert worden war, dass Patienten mit COVID-ARDS zu schnell invasiv beatmet würden, zu einer Art Backlash geführt, der am Ende Menschenleben kostete?
Das ist teilweise spekulativ, es nachzuweisen wird schwierig. Aber Karagiannidis zieht aus diesen Überlegungen zumindest für die anstehende Delta-Welle eine Handlungsempfehlung: „Es wurde in der zweiten Welle sehr viel und sehr lang nicht-invasiv beatmet. Patienten können nicht ewig unter NIV geführt werden. Wir sollten zur goldenen Mitte zurückfinden und nicht zu früh, aber auch nicht zu spät eskalieren. Wie früher, vor COVID.“
Neben „liberaler“ Patientenselektion und teils nicht optimalem Zeitpunkt des Beginns der ECMO-Versorgung könnte auch noch ein dritter Faktor zu der erhöhten Mortalität der deutschen COVID-Patienten mit ECMO-Therapie beigetragen haben, das was Karagiannidis das „Management“ der Intensivversorgung nennt. Hier geht es um die praktische Umsetzung der ECMO in den Krankenhäusern, und damit unter anderem um das Thema Pflegeschlüssel. „Wir haben in Deutschland zwei bis teilweise sogar drei Patienten mit High-Care-Versorgung pro Pflegekraft. Das ist in Ländern wie Großbritannien oder auch in Skandinavien undenkbar.“
Der mögliche Zusammenhang zwischen Pflegeschlüssel und ECMO-Mortalität geht über die Komplikationen. „Auch in Deutschland gab es relativ viele Probleme mit Blutungen an der ECMO, und da hilft ein schlechter Pflegeschlüssel natürlich nicht“, so Karagiannidis. Wenn Pflegekräfte mehrere Patienten parallel versorgen, steigt auch das Risiko der Übertragung von Keimen aus einem Bett in das andere. Schwer nachweisbar im Einzelfall, aber als Zusatzrisiko sehr plausibel.
Und dann gibt es noch die vergleichsweise hohe Zahl der Intensivbetten in Deutschland mit vergleichsweise starker Dezentralisierung. Auch hier geht es um Komplikationen. Eine französische ECMO-Arbeitsgruppe konnte in der ersten COVID-19-Welle zeigen, dass Patienten, die eine ECMO in Zentren erhalten, die das mindestens dreißig Mal im Jahr machen, eine dreimal so hohes 90-Tage-Überleben haben wie Patienten an kleineren Zentren. In Deutschland ist eine solche Zentralisierung die Ausnahme, was sich schon daran zeigt, dass es mehr als 200 Intensivstationen gibt, die ECMO anbieten, Tendenz weiter steigend durch COVID. Dass es eine relevante Zahl an wenig ECMO-erfahrenen Intensivstationen gibt, sei unstrittig, so Karagiannidis: „Die Versorgung ist extrem heterogen in Deutschland. Es gibt Kliniken, die haben 5 ECMO-Patienten im Jahr und anderen, die haben 50. Das könnte schon mit ein Grund für die vergleichsweise hohe Sterblichkeit sein.“
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