Gebrechliche Patienten sollten in klinischen Studien zur medikamentösen Therapie von Alzheimer und Demenz stärker berücksichtigt werden. Das fordern Ulmer Forscher auf Basis aktueller Studienergebnisse.
Die Gesellschaft wird immer älter, Menschen über 75 Jahre sind die am schnellsten wachsende demografische Gruppe der Welt. Die Gesundheitssysteme weltweit müssen sich neuen Herausforderungen stellen. Denn mit dem zunehmenden Alter der Bevölkerung verändern sich auch die Anforderungen an die medizinische Versorgung. Erkrankungen, die mit dem Lebensalter in Verbindung stehen, wie etwa Alzheimer, Demenz oder eine generelle körperliche Gebrechlichkeit, rücken in den Fokus. Bei vielen Alzheimer-Patienten geht die Erkrankung auch mit Gebrechlichkeit oder funktionellen Beeinträchtigungen einher.
Patienten sind dann chronisch weniger belastbar und haben weniger Kraftreserven. Damit sind sie anfälliger für weitere Erkrankungen, Behinderungen oder Stürze. Verschiedene körperliche Einschränkungen und Beschwerden wie Schwindel, Schmerzen und Verdauungsstörungen können zeitgleich auftreten und die Lebensqualität weiter beeinträchtigen. „Dadurch scheinen die schädlichen Folgen einer Krankheit – bis hin zum Tod – wahrscheinlicher zu werden. Es gibt außerdem immer mehr Hinweise darauf, dass gebrechliche Alzheimer-Patienten ein höheres Risiko für Nebenwirkungen haben, die auf Medikamente zurückzuführen sind“, erklärt Prof. Carlos Schönfeldt-Lecuona, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III. „Wirft man einen Blick auf die Weltliteratur, erfährt man, dass es bisher keine Studien gibt, die systematisch überprüft haben, wie sich medikamentöse Therapien bei Alzheimer- oder Demenz-Patienten auswirken, wenn eine Gebrechlichkeit vorhanden ist.“
Forscher des UKU sind genau dieser Frage nachgegangen. Zusammen mit der Agaplesion-Bethesda Klinik Ulm, der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und der Cochrane-Collaboration (Freiburg) haben die Wissenschaftler eine Studie durchgeführt, die auch im internationalen Journal Alzheimer's Research & Therapy erschienen ist. Ziel der Studie war es, die Wirksamkeit und Sicherheit der Arzneimittel zu überprüfen, die bei der Behandlung von Patienten mit Alzheimer oder Demenz zum Einsatz kommen. Dafür wurde eine systematische Literaturrecherche in verschiedenen internationalen Datenbanken durchgeführt.
Die Wissenschaftler haben 45.045 Artikel identifiziert, 38.447 Abstracts und 187 Volltexte gesichtet. Schließlich wurden 10 randomisierte kontrollierte Studien in die systematische Übersicht aufgenommen. Aus den ausgewählten Artikeln wurden die am häufigsten verwendeten Medikamente für die untersuchte Patientengruppe bewertet. Die Studien zu Antidementiva deuten darauf hin, dass auch Patienten mit funktioneller Beeinträchtigung leichte, aber signifikante Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten aufwiesen und dass die Medikamente allgemein gut verträglich sind. Die Studien zu Antidepressiva zeigten keine signifikanten Verbesserungen der depressiven Symptome der Patientengruppe. Häufig eingesetzte Antipsychotika und Antikonvulsiva zeigten bei einigen Demenz-Patienten eine allenfalls geringe Wirkung, aber bei funktionell beeinträchtigten Patienten auch höhere Nebenwirkungsraten.
„Die geringe Anzahl in Frage kommender Studien zeigt deutlich, dass ältere gebrechliche Alzheimer-Patienten in den meisten klinischen Studien zur medikamentösen Therapie von Alzheimer und Demenz nicht ausreichend berücksichtigt werden“, erklärt Prof. Christine von Arnim, Direktorin der Abteilung für Geriatrie der Universitätsmedizin Göttingen und Seniorautorin der Studie. Konkrete Empfehlungen zur gezielten medikamentösen Therapie bei älteren Alzheimer- oder Demenz-Patienten mit erheblichen funktionellen Beeinträchtigungen oder Gebrechlichkeit können aufgrund der geringen Datenlage nicht gegeben werden.
Was die Studie jedoch zeigt: Antidementiva sind am besten verträglich und führen zur signifikanten Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten. Antidepressiva sollten nur nach harter Indikation gegeben werden. Antikonvulsiva und Antipsychotika verursachen Nebenwirkungen in dieser Patientengruppe, deren gewünschte Wirkung kann durch die aktuelle Analyse nicht endgültig bewertet werden. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass bei künftigen Studien die besondere Fokussierung auf gebrechliche, ältere Menschen von großer Bedeutung ist“, so, Moritz Seibert, Doktorand an der Universität Ulm und Erstautor der Veröffentlichung. „Eine standardisierte Berücksichtigung für körperliche Gebrechlichkeit in zukünftigen klinischen Studien wäre sehr wünschenswert.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Ulm. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: elCarito, Unsplash