Männer und Frauen reagieren auf eine Einladung zur sexuellen Begegnung in der Regel deutlich unterschiedlich, in subjektiv sicherer Umgebung jedoch sehr ähnlich: So stimmten 100 Prozent der Männer und 97 Prozent der Frauen einer Einladung zu, wenn Gefahren nicht zu erwarten waren.
Frauen lassen sich nicht so schnell wie Männer auf ein sexuelles Abenteuer ein - dieser bekannte Sachverhalt gilt zwar nach wie vor, allerdings nicht in jedem Fall. Wie Psychologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) herausgefunden haben, sind Männer auch heute noch viel eher bereit, der Einladung zu einer kurzen sexuellen Begegnung zu folgen, als Frauen. Es gibt jedoch Ausnahmen von der Regel, die offenbar stark mit dem subjektiven Sicherheitsgefühl in Zusammenhang stehen. Schafft man nämlich eine Umgebung, in der sich Frauen sicher fühlen, stimmen sie einem unverbindlichen sexuellen Treffen fast genauso gerne zu wie das männliche Geschlecht. Die Ergebnisse basieren auf einer zweigeteilten Studie mit insgesamt 327 Probanden.
Ende der 1980er Jahre wurde erstmals eine Feldstudie publiziert, die das Sexualverhalten von Studenten auf einem US-Campus untersucht hatte und deren Ergebnisse großes Aufsehen erregten: Während Männer in zwei Drittel der Fälle sexuelle Einladungen von Frauen annahmen, lehnten Frauen entsprechende Vorschläge von Männern komplett ab. Ging es nur um eine einfache Verabredung, zum Beispiel zum Kaffeetrinken, war die Zustimmung von Männern und Frauen annähernd gleich groß. Seit dieser Veröffentlichung reißen die Diskussionen nicht ab, zumal weitere Studien trotz zunehmender Aids-Problematik den Befund bestätigten. Die Mainzer Psychologen vermuteten daher, dass in der Vergangenheit wichtige Einflussfaktoren übersehen wurden. Insbesondere, so die Hypothese, dürfte die subjektiv empfundene physische wie psychische Sicherheit eine entscheidende Rolle spielen.
Andreas Baranowski vom Psychologischen Institut der JGU hat vor diesem Hintergrund zwei Fragen untersucht: Macht es einen Unterschied, wenn die Aufforderung zu einer intimen Begegnung in einer anderen Umgebung erfolgt, wo der soziale Druck kleiner und ein solches Ansinnen nicht so ungewöhnlich ist? Und kann das subjektiv empfundene Risiko, das für Männer generell geringer ist, so manipuliert werden, dass bekannte Geschlechterunterschiede verschwinden? Mit einer Standardfrage „Hey, ich mache so etwas normalerweise nicht, aber hast Du Lust auf Sex mit mir?" gingen 14 Studierende der Psychologie über den Campus der Universität Mainz oder durch Clubs und Bars und sprachen insgesamt 127 Frauen und Männer darauf an, ob sie an einer sexuellen Begegnung interessiert wären. Mit einer Ausnahme haben sämtliche Frauen das Ansinnen abgelehnt, wogegen 50 Prozent der Männer in Clubs und 14 Prozent auf dem Campus der Einladung folgen wollten. Sind die Männer nicht in einer festen Beziehung, fällt ihre Zustimmung noch höher aus. Die Kontrollfrage „Hey, ich mache so etwas normalerweise nicht, aber hättest du Lust, mit mir mal einen Kaffee trinken zu gehen?" wurde an insgesamt 140 Frauen und Männer in der gleichen Umgebung gerichtet und zeigte, wie erwartet, ebenfalls einen Geschlechterunterschied, aber bei Weitem nicht in demselben Ausmaß.
Eine deutliche Übereinstimmung zwischen den Geschlechtern ergab sich dagegen im zweiten Studienteil. Den Testpersonen wurde hier eine ausgeklügelte Geschichte erzählt, sodass sie sicher sein konnten, im Falle einer Verabredung oder einer sexuellen Begegnung keinen psychischen oder körperlichen Gefahren ausgesetzt zu sein. Die Ergebnisse bei den 30 männlichen und 30 weiblichen Probanden sind bemerkenswert: 100 Prozent der Männer haben zugestimmt, sich zum Sex mit zumindest einer der Frauen, die sie auf einem Foto sehen konnten, zu treffen – die Zustimmungsrate bei den Frauen lag mit 97 Prozent nahezu genauso hoch. „Wir haben unter den veränderten Bedingungen eine Annäherung zwischen den Geschlechtern erwartet, dass diese so stark ausfallen würde, damit haben wir nicht gerechnet. Die starke Ablehnung einer sexuellen Einladung bei Frauen verliert sich, wenn wir eine sichere Umgebung anbieten“, sagt Andreas Baranowski. Allerdings wendet Baranowski ein, dass in dieser Studie ausschließlich Singles getestet wurden, die gerade auf der Suche nach einem Partner waren. Baranowski vermutet, dass Geschlechterunterschiede stark durch das soziale, gesellschaftliche und kulturelle Umfeld geprägt sind und eben nicht nur biologisch bedingt. Sobald der soziale Druck entfällt, nehmen die Geschlechterunterschiede ab. „Männer wollen immer Sex und Frauen wollen nie Sex – so einfach kann man das nicht sagen. Die Strategien sind wesentlich flexibler als allgemein angenommen“, so Baranowski.
Während die Studie Faktoren wie die Einschätzung der sexuellen Fähigkeit des Gegenüber oder dessen Attraktivität einbezogen hat, bleiben auf dem Gebiet noch viele Fragen offen. Durch die relativ kleine Stichprobe und den engen Kreis – Studienteilnehmer waren ausnahmslos junge, weiße, heterosexuelle Europäer – blieben andere Faktoren wie sexuelle Orientierung, kulturelle und soziale Diversität und Sexualität im Alter unberücksichtigt – eine Aufgabe für weitere Studien.