„Mutter Erde hat Fieber und es steigt weiter“, sagt Eckart von Hirschhausen. Im Interview mit DocCheck geht er sogar noch weiter: Mit Multiorganversagen liege unser Planet auf der Intensivstation. Was Ärzte dagegen tun können.
Eckart von Hirschhausen: Ganz einfach: Es ist die größte Gesundheitsgefahr in diesem Jahrhundert. Und seit den Bildern aus der Eifel, tausenden Hitzetoten in Deutschland, USA und Kanada ist das hoffentlich auch wirklich allen klar. Wir müssen nicht das Klima retten – sondern uns. Das sagen Lancet Climate Count Down, Weltärztebund, WHO und viele andere Institutionen schon lange, aber endlich wird es ernst genommen.
Gerade die Gesundheitsberufe haben eine hohe Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft. Uns kommt die verantwortungsvolle Aufgabe zu, auf Gesundheitsgefahren hinzuweisen, wo es geht Krankheiten und Tod zu verhindern und manchmal auch schlechte Nachrichten zu überbringen. Denn nur wenn wir uns über die Diagnose einig sind, macht es Sinn, über die Therapiemaßnahmen zu reden.
Unser aller Mutter liegt auf der Intensivstation. Mutter Erde hat Fieber und es steigt weiter. Sie hat sogar Multiorganversagen. Das ist das Schlimmste, was man auf Intensiv haben kann, mehrere Systeme funktionieren nicht mehr richtig, Atmung, Kreislauf, Entgiftung in den Nieren, Stoffwechsel. Bei Mutter Erde ist das der Jetstream, der eigentlich dafür sorgt, dass sich Wetterlagen ändern und eine Region nach einer Hitzeperiode wieder aufatmen kann. Dem Kreislauf entspricht der Wasserkreislauf, der durch die zusätzliche Wärmeenergie zu Extremen neigt, zu Starkregen, Wirbelstürmen und massiver Dürre und Trockenheit. Die Entgiftung funktioniert nicht, weil Dreck, Feinstaub und Mikroplastik in der Luft und im Wasser sich nicht abbauen lassen.
Eins ist klar: Es geht ums Überleben. Und viel Zeit ist nicht mehr, an diesem kritischen Zustand etwas zu ändern. Wir brauchen jetzt keine Panik, aber oberste Priorität zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen.
Über den Zusammenhang von Klimakrise und Gesundheit habe ich in meinem Studium tatsächlich nichts gehört. Das ändert sich zum Glück langsam, auch durch die Aktivitäten der Planetary Health Academy der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit. Aber immer noch glauben viele in der Medizin, dass wir mit genug Geld und Grundlagenforschung, Tabletten und Operationen alle Probleme lösen können. Und das ist schlichtweg ein großer Irrtum.
Kein Mensch kann sich seine eigene Außentemperatur kaufen. Noch nicht mal Privatpatienten haben Zugang zu ihrer eigenen Luft. Die größte Gesundheitsgefahr laut WHO ist aber Luftverschmutzung. Und die hängt sehr stark von der Art der Energieerzeugung ab. Deshalb ist Kohleverstromung ein Verbrechen an der Atmosphäre und den Patienten. Wenn Atemwegserkrankungen, Allergien, Asthma und sogar schwere Verläufe von COVID-19 und seelische Erkrankungen in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung häufiger werden, kann doch meine ärztliche Antwort darauf nicht sein, mehr Asthma-Sprays zu verordnen, sondern dann muss ich die Ursachen benennen.
Der Anfang, der Mittelteil und der Schluss (lacht). Im Ernst: Das ist nicht mein erstes Buch, aber mein wichtigstes, an dem ich auch drei Jahre gearbeitet habe, unglaublich viel Recherche und Hintergrundgespräche gemacht habe und sehr viel Hirnschmalz und Herzblut reingesteckt habe, um es so verständlich, persönlich und lebensnah zu beschreiben wie möglich. So ein Buch gab es bisher nicht, das radikal die menschlichen Grundbedürfnisse von Atmen, Trinken, Essen und Wärme regulieren durchdekliniert.
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Zudem gibt es gerade im Schlussteil viele Aspekte zu Kommunikation, Psychologie und Lösungsansätzen. Außerdem erzähle ich, warum ich nach der Begegnung mit Jane Goodall und der Mitgründung der Scientists for Future jetzt eine eigene Stiftung voranbringe, die Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen.
Das kann ich erst im Jahr 2030 sagen. Denn diese nächsten 10 Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten 10.000 Jahre für unsere Zivilisation werden. Deswegen müssen wir schnell handeln – und zwar nicht jeder für sich alleine und im Kleinen, sondern überregional, europäisch und global. Klima ist kein Modethema, sondern ganz einfach eine Frage des Überlebens. Es ist völlig naiv, zu glauben, wir würden in den nächsten Jahren eine Zaubermaschine erfinden, die das CO2 mit einem Staubsauger wieder verschwinden lässt.
Viel wichtiger ist es, endlich mit der idiotischen dreckigen und teuren Kohleverstromung aufzuhören, denn aus dem Weltraum betrachtet ist die Atmosphäre eben nicht eine unendliche Müllhalde für Treibhausgase, sondern eine sehr dünne und empfindliche Haut der Erde. Und diese Schutzschicht macht den Unterschied, ob wir auf der Erde leben können oder nicht. Besser wird es nirgendwo im Weltall. Wir sind mit wahnsinnig viel Glück auf dem einzigen bekannten Planeten mit Wasser, Luft und erträglichen Temperaturen. Und um wirklich alle Leser zu motivieren, ist die Erde auch der einzige Ort im Weltall mit Kaffee, Sex und Schokolade. Mensch Erde, wir könnten es echt schön haben!
Wie viele Stationen haben denn Klimaanlagen außerhalb der Intensivstationen? Von den Altenpflegeheimen ganz zu schweigen. 2003, in der ersten großen Hitzewelle, starben 70.000 Menschen europaweit. Frankreich hat daraufhin Hitzeschutzpläne für jede Kommune entwickelt, Altenheime klimatisiert – wir haben das alles versäumt, stattdessen am ÖGD und dem Katastrophenschutz gespart. Wenn es draußen 40 Grad hat und die Sonne auf die unverschatteten Fassaden und Fenster ballert, sind es drinnen auch nur ein paar Grad wärmer. Das ist eine enorme Belastung für die Patienten wie auch die Mitarbeiter, erst recht, wenn noch COVID-19-Schutzkleidung und Atemmaske dazu kommen.
Wie können sie ihre Wärme loswerden? Das ist tatsächlich nicht mehr möglich, da stehen insbesondere Ärzte und Pflegepersonal unter maximalem Hitzestress. Unser Gesundheitswesen ist miserabel vorbereitet auf die Veränderungen durch die heißeren Durchschnittstemperaturen in Deutschland. Die spielten in den letzten zwanzig Jahren planerisch leider gar keine Rolle. Außerdem kommen lauter neue Infektionskrankheiten auf uns zu, von West-Nil bis Dengue, und Frühsommer-Meningoenzephalitis gibt es jetzt schon im Januar, weil die Winter zu warm sind. Es ändert sich sehr viel, sehr schnell.
Auf dem Buchdeckel von „Mensch Erde!“ steht halb scherzhaft: „Drei Krisen für den Preis von zwei“. Die großen Themen unserer Zeit hängen tatsächlich sehr viel enger miteinander zusammen als oft wahrgenommen wird. Die Klimakrise ist auch eine Gesundheitskrise. Und ohne die Zerstörung von Lebensräumen, das Artensterben und den Wildtierhandel hätten wir auch kein Corona. Wir sind viel verletzlicher als wir gedacht haben und müssen Gesundheit global denken.
Ein Virus fragt nicht nach einem Visum, um Ländergrenzen zu überspringen. So wenig wie ein C02-Molekül in der Atmosphäre fragt, aus welchem Land es kam. In unserem Körper kommt alles zusammen und verstärkt sich: 8 Millionen Menschen jedes Jahr sterben an Luftverschmutzung und eine Lunge, die Dreck einatmen muss, ist auch viel anfälliger für Corona. Naturschutz und Tierschutz ist auch Gesundheitsschutz, wenn wir das aus dem letzten Jahr gelernt haben, war es wenigstens zu etwas gut. Dieser Kerngedanke nennt sich international One Health, oder auf Deutsch und auch als Name meiner neuen Stiftung: Gesunde Erde – Gesunde Menschen.
Wir vergessen oft, dass unser Gesundheitswesen mit den Millionen von Beschäftigten und tausenden von Einrichtungen einen großen Teil unserer Infrastruktur ausmacht, und entsprechend auch einen hohen Fußabdruck hat, geschätzt über 5 % der Gesamtemissionen. Deshalb bin ich auch Schirmherr für Click Green, einer Inititative, die den einzelnen Häusern hilft, ihren Ressourcenverbrauch zu senken.
Med-Ikone Eckart von Hirschhausen ist dieses Jahr auch bei Med im Kornfeld am Start! Hol dir hier alle Infos:
Es gibt auch ganz konkrete Stellschrauben, wie beispielsweise auf das extrem klimaschädliche Narkosemittel Desfluran zu verzichten. Dazu gibt es eine aktuelle Veröffentlichung von Anästhesisten, die ich unterstütze. Warum gibt es eigentlich in so vielen Kantinen einen so fiesen, billigen Fleisch-Fraß? Warum ist die pflanzenbasierte Planetary Health Diet der Lancet Eat Comission nicht längst Standard für alle Gesundheitseinrichtungen?
Jeder an seiner Stelle! Wie komme ich zur Arbeit, wie stehe ich zu unnötigen Eingriffen und Untersuchungen, mache ich wie die Initiative Klimadocs den Patienten klar, wenn ihre Erkrankungen auch eine Umweltkomponente haben? Medizin findet nicht im luftleeren Raum statt. Wir Ärzte können Fieber senken, aber keine Außentemperaturen. Die Grundlage von Gesundheit ist nichts, was die Medizin irgendwie herstellen würde, sondern sehr basale Dinge, die wir für selbstverständlich hielten, die es aber nicht sind: saubere Luft, genug zu essen und zu trinken sowie erträgliches Klima. Wir müssen nicht „die Umwelt“ schützen, sondern uns! Die größten Gesundheitsgefahren, die auf uns zukommen, sind nicht mehr mit den Instrumenten der Medizin zu behandeln, sondern brauchen gesellschaftliche und politische Lösungen.
Deshalb aktiviere ich viele Ärzte, Pflegekräfte, Verbände, Apotheker und Krankenkassen: Macht euren Mund auf, bezieht Stellung, mischt euch ein, denn auf die Gesundheitsberufe wird gehört. Wir müssen Mehrheiten in der Mitte der Gesellschaft erreichen, weil das Problem nicht mit einer Partei, sondern nur übergeordnet gelöst werden kann. Gesundheit ist eben nicht nur ein individuelles Gut ist, sondern auch ein kollektives. Auf dem letzten DGIM-Kongress war das ein großer Schwerpunkt. Im Oktober wird es einen Sonder-Ärztetag zu Klima und Gesundheit geben. Und auch das BMG hat endlich dazu eine kleine Abteilung gegründet. Also – es tut sich was. Muss ja auch! Wir sind dran.
Bildquelle: Guillaume de Germain, Unsplash