Drei Jahre nach dem Start des IGeL-Monitors zieht der MDS Bilanz: Die Mehrheit der bewerteten IGeL-Angebote hat demnach keinen Nutzen, manche Leistungen werden als gesundheitsgefährdend eingestuft. Wie valide und neutral sind diese Bewertungen?
Regelmäßig führen die Pressemitteilungen des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) zu einem breiten Medienecho: Kaum hat der vom MDS betriebene IGeL-Monitor wieder den Nutzen einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode als unklar oder negativ bewertet, liest man in einer Flut von Artikeln, dass individuelle Gesundheitsleistungen nutzlos oder gar gefährlich seien, und dass die Ärzteschaft sich damit auf Kosten der unwissenden Kassenpatienten bereichern würde. Seit nunmehr drei Jahren soll der IGeL-Monitor Patienten dabei helfen, den Sinn oder Unsinn einer IGeL besser beurteilen zu können. Dazu analysiert laut Aussage des MDS ein interdisziplinäres Team in einem evidenzbasierten Ansatz die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten, die Aussagen zu Schaden und Nutzen einer IGeL enthalten. Durch Abwägung von Schaden und Nutzen kommt das Team dann zu einer von fünf Bewertungsaussagen: Positiv, tendenziell positiv, unklar, tendenziell negativ und negativ. Zurzeit sind 38 Selbstzahler-Leistungen im IGeL-Monitor gelistet. Von den bisher bewerteten 34 Leistungen wurden lediglich 4 tendenziell positiv bewertet, bei 13 Leistungen war die Bewertung „unklar“ und 17 erhielten das Urteil „tendenziell negativ“ oder „negativ“. Positiv wurde keine einzige IGeL bewertet.
Doch sind die überwiegend negativen Urteile des IGeL-Monitors wirklich so überraschend? Der MDS wird vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert – da liegt die Vermutung nahe, dass die Interessen der Krankenkassen bei den Bewertungen des IGeL-Monitors potentiell eine Rolle spielen. Ein Beispiel: Methoden wie die Biofeedback-Therapie bei Migräne bekommen die Bewertung „unklar“ vom IGeL-Monitor, während die aktuellen Leitlinien der Fachgesellschaften DGN und DMKG den Einsatz der Biofeedback-Therapie explizit empfehlen. Auch der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, äußerte sich kritisch zum IGeL-Monitor und forderte mehr Transparenz bei der Bewertung und bei den daran beteiligten Personen: „Problematisch sind vor allem die offenbar rein politisch motivierte Auswahl der bewerteten IGeL und die nicht kommunizierten Kriterien, nach denen IGeL zur Bewertung ausgewählt werden.“ Um seriöse Informationen über IGeL zu liefern, haben BÄK und die kassenärztliche Bundesvereinigung einen Ratgeber für Patienten und Ärzte entwickelt, der unter anderem Checklisten und einen Musterbehandlungsvertrag enthält.
Trotz berechtigter Zweifel ist der IGeL-Monitor bei Patienten weiterhin beliebt. Nach Aussage des MDS konsultieren an Spitzentagen bis zu 10.000 Besucher den IGeL-Monitor. Dass der IGeL-Markt boomt, zeigen auch die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO): 2012 wurde ihr zufolge 29,9 % der Befragten im Lauf der letzten 12 Monate in einer Arztpraxis (Zahnärzte ausgenommen) eine ärztliche Leistung als Privatleistung angeboten oder in Rechnung gestellt. Hochgerechnet entspricht dies 26,2 Millionen angebotenen und 18,2 Millionen realisierten IGeL. Damit umfasst das Volumen des IGeL-Markts für 2012 schätzungsweise 1,3 Milliarden Euro. Besonders häufig wurden Ultraschalluntersuchungen, Glaukom-Vorsorgeuntersuchungen und Blut-/Laboruntersuchungen als Selbstzahler-Leistungen angeboten. Dabei waren Frauen im Alter von 30 bis 50 Jahren die größte Zielgruppe der IGeL-Verkäufer: 36,6 % erhielten ein Angebot für eine Privatleistung. Interessanterweise standen weder Alter noch Gesundheit mit dem Umfang angebotener IGeL im Zusammenhang, wohl aber Einkommen und Schulbildung der Patienten. Die jüngst veröffentlichten Zahlen einer 2014 durchgeführten repräsentativen Befragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Techniker Krankenkasse bestätigen diesen Zusammenhang: Während 46 % der Geringverdiener mindestens einmal ein IGeL-Angebot erhalten hatten, waren es bei den Besserverdienern 64 %.
Ergänzend zum IGeL-Monitor bietet beispielsweise das Internet-Portal der Verbraucherzentrale NRW Patienten eine Plattform für Kritik an IGeL. Besonders häufig treten demnach in der ärztlichen Praxis folgende Probleme auf:
Dass es sich hierbei um mehr als Einzelerfahrungen handelt, zeigt neben der WIdO-Umfrage auch der „Monitor Patientenberatung 2014“ der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). In ihrem aktuellen Bericht für den Patientenbeauftragten der Bundesregierung schreibt die UDP: „Eine gesteigerte Aufmerksamkeit verdient auch der sehr hohe Anteil an dokumentierten Beschwerden und Problemlagen zu Geldforderungen im Kontext einer Individuellen Gesundheitsleistung. Dies gilt insbesondere für die wirtschaftliche Aufklärung vor der Durchführung von Individuellen Gesundheitsleistungen und die Zulässigkeit der privaten Abrechnung von Kassenleistungen.“ Dem Bericht zufolge wurden die meisten Beratungen durch einen Besuch bei einem niedergelassenen Arzt ausgelöst, allen voran bei Augenärzten, gefolgt von Zahnärzten und Orthopäden.
In ihrer Doppelrolle als Vertrauensperson einerseits und Unternehmer andererseits sind Ärzte in einer schwierigen Situation, gerade was IGeL betrifft. Im Umgang mit den Patienten gilt es, wesentliche Punkte zu beachten: Dazu gehören neutrale, ausgewogene Informationen über Nutzen und Risiken der angebotenen Leistung, wissenschaftliche Belege, ausreichend Zeit zur Entscheidung für den Patienten sowie ein schriftlicher Behandlungsvertrag samt Kostenvoranschlag und eine korrekt gestellte Rechnung. Schon das Beherzigen dieser einfachen Grundsätze wird das Arzt-Patienten-Verhältnis auch in Punkto IGeL deutlich verbessern.