Die Delta-Welle rollt. Und eine der entscheidenden Fragen dabei ist der Umgang mit vollständig geimpften Menschen. In alle Eindämmungsmaßnahmen einbeziehen? In gar keine?
Die ursprünglich in Indien beschriebene Delta-Variante von SARS-CoV-2 hat in Sachen COVID-19 weitgehend die Weltherrschaft übernommen: Auch in Deutschland steigen die Infektionszahlen seit zwei Wochen wieder an. In der wöchentlichen Statistik der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) spiegelt sich das jetzt auch deutlich wider: Über 80 Prozent der Corona-Neuinfektionen in Deutschland gehen auf das Konto von Delta. Das ist jene Quote, ab der die Inzidenzen in einigen anderen Ländern steil anstiegen. Die Positivrate, also der Anteil positiver SARS-CoV2-Tests an allen Tests, stieg auf noch niedrigem Niveau deutlich um 0,55 Prozentpunkte auf aktuell 1,7 Prozent.
Vor diesem Hintergrund stellt sich jetzt auch in Deutschland die Frage: Wie umgehen mit der Eindämmungspolitik in dieser vierten Welle, angesichts der Tatsache, dass mittlerweile knapp die Hälfte der Bevölkerung zweimal geimpft ist und (mehr oder weniger) jeder, der sich impfen lassen möchte, dies auch tun kann. Der Blick in die Welt zeigt, dass es eine gewisse Vielfalt an Konzepten gibt, wie mit der neuen Situation umgegangen wird. Konsens Fehlanzeige.
Eine Option ist das Thema Impfpflicht in ausgewählten Bereichen. Frankreich und Italien zielen auf Heilberufler, die Briten wollen Tanzclubs und andere problematische Event-Lokalitäten zu verpflichtenden Impfzonen machen. In Deutschland gilt eine Impfpflicht bisher als politisch nicht durchsetzbar.
Breitere Toleranzkorridore für die Infektionszahlen sind ebenfalls eine mögliche Antwort auf die „neue Welt“. Dänemark experimentiert damit: Auf Gemeindeebene soll dort jetzt eine Lockdown-Inzidenz von 1.000 pro 100.000 pro Woche gelten, auf Kreisebene von 500 pro 100.000 pro Woche. Ähnliche Diskussionen gibt es auch in Deutschland. Konzepte, die Lockdowns an Auslastungsparametern des Gesundheitssystems, etwa Krankenhauseinweisungen oder Intensivbelegung, festmachen, sind analog zu sehen, haben aber den Vorteil, dass sie unabhängiger vom Testverhalten bzw. der nationalen/regionalen Testpolitik sind.
Und damit sind wir bei einer der zentralen Fragen der nächsten Monate: Wie umgehen mit Menschen, die vollständig geimpft sind? Sollten sie im Track-Trace-Isolation/Quarantäne-System ganz normal mitlaufen? Sollten sie anders behandelt werden? Auch hier herrscht durchaus Uneinigkeit international. Die Briten testen sehr breit, auch die doppelt geimpften Menschen, und sie schicken sie auch in Quarantäne bei Kontakt. Neben den hohen Infektionszahlen ist das die zweite Ursache für die sehr hohen Quarantäne-Zahlen auf der Insel.
Die USA machen das anders: Die CDC empfiehlt ausdrücklich, doppelt geimpfte Menschen NICHT zu testen, solange sie keine Symptome haben. Auch wird NICHT empfohlen, dass asymptomatische Kontaktpersonen sich in Quarantäne begeben. Deutschland und sein Robert-Koch-Institut liegen in diesen Punkten derzeit weitgehend auf der Linie der US-Amerikaner. In der entsprechenden FAQ auf der RKI-Seite heißt es:
„Vollständig gegen COVID-19 geimpfte Personen sind nach Exposition zu einem bestätigten SARS-CoV-2-Fall von Quarantäne-Maßnahmen ausgenommen, ebenso wie Personen, die in der Vergangenheit eine PCR-bestätigte und symptomatische COVID-19-Erkrankung durchgemacht haben („Genesene“) und mit einer Impfstoffdosis geimpft sind. […] Bis zum 14. Tag nach Exposition zu dem SARS-CoV-2-Fall sollte ein Selbstmonitoring (Körpertemperatur, Symptome) erfolgen. Entwickelt die Kontaktperson trotz vorausgegangener Impfung Symptome, so muss sie sich in eine Selbstisolierung begeben und eine zeitnahe Testung veranlassen.“
Prinzipiell werden asymptomatische Personen deswegen auf SARS-CoV-2 getestet, weil auch sie das Virus sehr effektiv übertragen können. Das ist anders als bei einigen anderen Atemwegsinfektionen, insbesondere anders als bei der Grippe, wo üblicherweise eine rein symptomatische Surveillance erfolgt, sprich es wird nur getestet, wenn die Betreffenden Symptome haben. (Auch SARS-CoV-1 unterschied sich in diesem Punkt deutlich von SARS-CoV-2 und war, nicht zuletzt deswegen, vergleichsweise gut eindämmbar.)
Die asymptomatische Übertragung ist der Grund für die Testung und/oder Quarantänisierung von Kontaktpersonen. Bei doppelt geimpften Menschen stellt sich die Frage, wie hoch das Risiko ist, dass sie das Virus asymptomatisch übertragen. Hier kommen die mittlerweile zahlreichen Viral-Load-Studien ins Spiel. So wurde bei ungeimpften COVID-19-Patienten in einer spanischen Kohorte gezeigt, dass es, was die sekundäre Attack-Rate angeht, eine klare Korrelation mit dem Viral-Load gibt: Je mehr Viren im Rachen, desto mehr andere Menschen werden angesteckt. Gleichzeitig ist der Viral-Load bei asymptomatischen Infizierten im Schnitt geringer als bei symptomatischen Infizierten, allerdings gibt es hier eine recht große Streuung und wohl auch Altersunterschiede.
Interessant im Hinblick auf Testen und Quarantänisieren von vollständig Geimpften ist demnach der Viral-Load, und dazu gibt es mittlerweile mehrere Studien. Einige davon kommen, wenig überraschend, aus Israel, etwa diese und diese Real-World-Studie zum Viral-Load bei israelischen BioNTech-Geimpften. Eine US-amerikanische Studie untersuchte diesbezüglich Pflegeheimbewohner. Und eine sehr große britische Kohorte untersuchte den Zusammenhang populationsbasiert.
Die Ergebnisse lassen sich relativ knapp zusammenfassen: Asymptomatische geimpfte Menschen haben in der Regel einen hohen CT-Wert in der PCR, damit einen niedrigen Viral-Load, was bedeutet, dass das Risiko, SARS-CoV-2 zu übertragen, in dieser Konstellation gering ist. Das Virus wird im Nasenrachen abgefangen und dort an der Vermehrung gehindert. Das ist im Wesentlichen der Grund, warum CDC und RKI doppelt geimpfte Menschen derzeit vom üblichen Test-Trace-Isolation/Quarantäne-Prozedere ausklammern.
Zahlreiche (überwiegend Real-World-)Studien zur Effektivität der Impfung im Hinblick auf asymptomatische Infektionen flankieren diese Viral-Load-Daten: Sowohl bei den mRNA-Impfstoffen als auch beim Astra-Zeneca Impfstoff sprechen die Daten, hier pars pro toto eine israelische Studie, für eine Verhinderung von asymptomatischen Infektionen in der Größenordnung von rund zwei Dritteln bis drei Vierteln. Eine recht aktuelle Real-World-Studie zu mRNA-Impfstoffen aus den USA für den Zeitraum bis April 2021 zeigte, dass der Viral Load bei Geimpften im Mittel um 40 Prozent reduziert war.
Die offensichtliche Einschränkung bei all dem ist, dass entsprechende Daten überwiegend aus der Zeit vor der Delta-Variante stammen. Eine viel zitierte, chinesische Arbeit auf dem virologischen Preprint-Server Virological.org hat gerade eine 1.000 mal höhere Viruslast bei Delta im Vergleich zu den Vorgängervarianten beschrieben. Wie sich das bei Geimpften verhält und ob das dann reicht, um die Test-Trace-Isolation/Quarantäne Empfehlungen für asymptomatische, vollständig geimpfte Menschen zu ändern, bleibt abzuwarten. Schon heute sollten Kontaktpersonen mit Symptomen in jedem Fall getestet werden, unabhängig von Delta.
Bildquelle: Ahmed Hasan, unsplash