Das eigene Kind morgens mit Zäpfchen und Ibu gesunddopen, damit es auch krank in die Kita kann? „Kindeswohlgefährdung“, heißt es dazu auf Twitter. Was ich als Kinderarzt davon halte.
Der folgende Tweet hat mich in den letzten Stunden umgetrieben. Direkt antworten ist schwierig, weil das schon hart an der (unseriösen) medizinischen Beratung entlangrutscht, aber interessant ist das Thema schon. Das Kind ist krank, die Eltern gehen zum Kinderarzt, eventuell auf Anraten der Kita, nun mal endlich zum Arzt zu gehen. Oder eben auch nicht.
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„Darf das Kind denn in den Kindergarten?“ – „Ab wann darf es in den Kindergarten?“ – „Ist das denn ansteckend?“ (Pro-Tipp: Immer.) – „Im Moment sind ja alle krank, das hat es ja auch aus dem Kindergarten.“ – „Die denken immer gleich an Corona, aber das ist doch nur ein normaler Sommerinfekt, oder?“ So oder ähnlich wird dann gefragt.
Die Perspektiven sind klar: Die Eltern haben ein krankes Kind, immerhin so krank, dass sie damit zum Arzt gehen, der Kinderarzt sieht ein „normal“ krankes Kind, wie er das tagtäglich hundertmal sieht, verweist auf Hausmittelchen und gibt auf obige Fragen die üblichen Antworten: „Eigentlich gehts ihr gut.“ – „In den Kindergarten? Das müssen Sie mit dem Kindergarten besprechen.“ – „Welches Kind ist gerade nicht krank?“ – „Ansteckend ist alles.“ – „Corona ist so selten geworden, das ist es sicher nicht. Abstrich ist negativ.“
Kinder sollten sich bei Infekten erholen. Kinder sollten Ruhe haben. Wer krank ist, gehört ins Bett, oder wenigstens auf die Couch oder in den Wald, ganz sicher nicht in eine hundertkindstarke Kita-Gruppe mit offenem Konzept.
Das ist so banal, wie kaum umsetzbar: Denn die Eltern müssen meist arbeiten, in den Kitas gibt es *immer* kranke Kinder, die Kriterien für „nicht-in-den-Kindergarten-dürfen“ werden immer abstruser (Beispiele: „Nach einer Impfung“, „Mindestens 48 Stunden fieber-/durchfall-/ausschlagsfrei“, „erst, wenn keine Läuse mehr sichtbar sind“ (hier meint der Laie aber i. d. R. die Eier, die oft Wochen danach noch sichtbar sind), „nur ohne Husten/Schnupfen/rote Augen“.
Letztendlich geht es um Vertrauen: Vertrauen, dass Eltern ihre Kinder nicht absichtlich krank in den Kindergarten schicken, Vertrauen, dass der Arzt den Kindergartenbesuch nur dann erlaubt, wenn der Stimmungs- und Körperzustand des Kindes dies zulässt, Vertrauen, dass es auf dieser Welt keine Kindergartengruppe gibt, in der nicht irgendein Virus oder Parasit seine Runden dreht. Wann steht denn mal nichts an der Kindergartentür? („Wir haben in der Elefantengrupppe Scharlach UND Streptokokken.“ Sic!).
Kindeswohlgefährdung (siehe Tweet oben)? Auch mal den berühmten Punkt machen. Und bitte: Nicht aus der Erfahrung von einzelnen schwarzen Schafen immer auf die anderen schließen. Die wenigsten Eltern „dopen“ ihre Kids morgens mit Zäpfchen oder Ibu-Saft, damit sie fieberfrei im Morgenkreis sitzen und zwei Stunden später mit glasigen Augen in der Ecke. Die wenigsten Erzieher akzeptieren nicht eine laufende Nase oder ein paar Pickelchen hier und da, die sind doch auch ein wenig berufserfahren und wissen, dass Kinder im Kindergarten nun mal krank werden.
Eltern, Erzieher, Kinderarztkollegen: Redet miteinander, vergesst die Krank- oder Gesundschreibungen, besprecht sinnvolle, realistische und medizinisch stimmige Regeln, bildet euch fort bei Elternabenden und Infoveranstaltungen der Mediziner und lest auf seriösen Internetseiten.
Nein, lasst das Letztere. Redet lieber miteinander.
Bildquelle: Ben White, unsplash