Krebszellen beschleunigen durch einen sich selbst verstärkenden Rückkopplungseffekt ihr eigenes Wachstum. Der Mechanismus könnte Antworten auf offene Fragen geben.
Das Darmepithel ist ein gut untersuchtes Beispiel für die als Gewebe-Homöostase bezeichnete Balance zwischen Zellwachstum und der Eliminierung defekter Zellen in Organen und Geweben. Tumorzellen stören diese fein austarierte Reorganisation der Gewebearchitektur: Für ihre Expansion verschaffen sie sich rabiat Platz. Wie genau sie dabei vorgehen, war bislang unklar.
Ein Forschungsteam der Universität Heidelberg hat diese Vorgänge nun am Darmepithel der Fruchtfliege untersucht, das ähnlich aufgebaut ist wie der Darm von Säugetieren. Durch die Blockade des wichtigen BMP-Signalwegs lösten die Forscher im Fliegendarm zahlreiche Tumore aus. An diesem Modell deckten sie auf, wie die Krebszellen durch sich selbst verstärkenden Rückkopplungseffekt ihr eigenes Wachstum beschleunigen.
Zunächst zerreißen Tumorzellen die Gewebestruktur, indem sie unter anderem auf die Zell-Adhäsion einwirken. Der dadurch veränderte mechanische Zusammenhalt der Darmzellen aktiviert einen stressempfindlichen Signalweg in benachbarten Darmzellen, was wiederum bewirkt, dass Gene abgelesen werden, die den programmierten Zelltod fördern. Das Team konnte in den Darmzellen rund um einzelne Tumorzellen große Mengen von Proteinen nachweisen, die den Zelltod einleiten. Vermutlich durch Zytokine, die von sterbenden Darmzellen abgegeben werden, wird in den Tumorzellen der wachstumsfördernde JAK/Stat-Signalweg aktiviert, was zur weiteren Ausbreitung des Tumors führt.
Das Team fand außerdem heraus, dass für diesen Prozess der Immun-Aktivator PGRP-LA erforderlich ist. Wird PGRP-LA ausgeschaltet, sterben weniger Darmzellen und auch das Tumorwachstum verlangsamt sich. „Die Darmkrebszellen kapern offenbar ein Signalmolekül des angeborenen Immunsystems und missbrauchen es für ihre Zwecke. Damit schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie verschaffen sich Platz, indem sie Darmzellen in ihrer Umgebung eliminieren – und befeuern zusätzlich ihr eigenes Wachstum“, erklärt Studienleiter Michael Boutros. Ob dieselben Mechanismen auch bei der Ausbreitung menschlicher Darmtumoren eine Rolle spielen, sollen zukünftige Untersuchungen ergeben.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums. Die Originalpublikation könnt ihr hier nachlesen.
Bildquelle: Zoltan Tasi, unsplash.