Der Kunde kommt mit Rezept vom Hausarzt, er soll ein neues Medikament bekommen. Unser Apo-System warnt: Es gibt Wechselwirkungen. Wie gehe ich jetzt vor – Arzt anrufen oder nicht?
Es ist eine heikle Situation: Ein Stammkunde kommt mit einem Rezept vom Hausarzt und hat ein neues Medikament verordnet bekommen. Wir gleichen die Medikamente, die er außerdem noch erhält, mit dem neuen Wirkstoff ab und es ergeben sich Probleme. Die Warnmeldung besagt, dass bei der neuen Kombination eine QT-Zeit-Verlängerung wahrscheinlich ist.
Wie sollen wir jetzt vorgehen? Dem Patienten von der Einnahme abraten und damit den Hausarzt verärgern, weil wir in seine Therapiehoheit eingreifen? Vielleicht weiß er ja bereits um die Probleme, die auftreten können, aber nimmt das Risiko nach reiflicher Abwägung in Kauf? Möglicherweise war es ihm aber auch gar nicht bewusst und er ist dankbar für einen Hinweis? Interdisziplinäre Kommunikation erfordert viel Fingerspitzengefühl und sollte nicht mit der Holzhammermethode durchgezogen werden.
Es gibt sehr viele Wechselwirkungen, auf die uns unser System hinweist, besonders seit im vergangenen Jahr die ABDA-Datenbank² neue Klassifikationen ausweist. Mit ihr stehen alle klinisch-pharmazeutischen Daten in einem vollständigen Arzneimittelinformationssystem zur Verfügung. Die auftretenden Wechselwirkungen werden anhand der klinischen Relevanz beurteilt. In vielen Apotheken kam es daher zu Verunsicherungen, ob diese neuen Meldungen dem Patienten nun alle mitgeteilt werden sollten und ob der verordnende Arzt darüber informiert werden muss, sobald uns eine solche Interaktion bekannt ist. Wenn man sich nun dazu entschließt, den verschreibenden Arzt zu informieren, auf welche Weise sollte das am besten kommuniziert werden?
Mit dieser Frage hat sich Tanja Siebert beschäftigt, die in der Margareten Apotheke in Münster arbeitet. Sie begann damit, Informationen zu häufig auftretenden Wechselwirkungen zusammenzustellen und dann bei Bedarf per Fax an die betroffene Praxis zu schicken. Orientiert hatte sie sich zunächst an einer Erhebung über Art und Häufigkeit von Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln der Bayerischen Landesapothekerkammer aus dem Jahr 2012.
Die an der Erhebung beteiligten Apotheken und die BA KlinPharm analysierten im Juli 2011 je 100 aufeinanderfolgende Kundenkontakte und sammelten dabei rund 24.000 Daten von fast 21.000 Apothekenkunden. Dabei kam heraus, dass vor allem 20 Kombinationen den größten Teil der Wechselwirkungsprobleme ausmachen. Wer diese kennt, kann schnell herausfinden, welche Kombinationen auf dem Rezept wirklich zu größeren Problemen führen können. Mit diesem Wissen ist es bedeutend einfacher, die richtigen Maßnahmen einzuleiten und dem Patienten gegenüber souverän aufzutreten.
Quelle: BA KlinPharmSiebert erarbeitete auf dieser Grundlage Flussdiagramme für das Vorgehen in der Apotheke selbst, welche Maßnahmen bei welchem Interaktionsrisiko zu treffen sind. Ihre Arbeit beinhaltet Entscheidungshilfen bei häufig auftretenden Risiken: Was muss der Patient gefragt werden, wenn Interaktion xy auftritt? Auf welche Werte wie Blutdruck oder Blutzuckerwerte muss er besonders genau achten? Wie häufig sollte er messen? Werden notwendige Kontrollen bereits beim Arzt durchgeführt?
Gleichzeitig entwickelte sie auch Fax- und E-Mailvorlagen für die Kommunikation mit dem verschreibenden Arzt selbst, die sich auf die schweren und mittelschweren Interaktionen beziehen. Diese Vorlagen enthalten außerdem den Zusatz, ob der Patient bereits über die möglichen Wechselwirkungen informiert wurde, oder noch nicht.
Siebert ist es wichtig, dass die Kommunikation mit der Arztpraxis kollegial und auf Augenhöhe erfolgt, dass beide Seiten wertschätzend im Gespräch bleiben. Es ist ihr bewusst, dass im Praxisalltag und während stressiger Situationen auch mal etwas untergehen kann und sie möchte den verschreibenden Arzt nicht mit einem Anruf überrumpeln, der vielleicht gerade in einem unpassenden Moment kommt. „Wenn ich gerade einen Kunden berate, möchte ich ja auch nicht, dass mir plötzlich jemand ein Telefon in die Hand drückt mit einem Gespräch, das sich auf einen ganz anderen Patienten bezieht. Da muss ich doch erst einmal umdenken, und möchte mich in Ruhe damit befassen. Das geht den Ärzten ja auch nicht anders.“
Ihre Erfahrung ist es, dass gerade jüngere Ärzte für diese unkomplizierte Form der Kommunikation besonders dankbar sind. Die angebotenen Alternativen zu einer problematischen Wirkstoffkombination werden meistens positiv aufgenommen und umgesetzt.
Auf die Idee gebracht haben sie ursprünglich die Faxvorlagen der Apothekerkammer Bremen zu Interaktionen oder Rezepturrückfragen bei der Verordnung von Individualrezepturen. Für diese Arbeit erhielt Siebert kürzlich den Stiftungspreis der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Geplant ist, die Arbeitshilfen ab Herbst dieses Jahres zum Kauf oder Download zur Verfügung zu stellen.
Für die Compliance ist es wichtig, dass der Patient nicht verunsichert wird. Im Apothekenteam sollte also im Vorfeld das Vorgehen abgesprochen werden, das bei Neuverordnungen von möglicherweise problematischen Wirkstoffkombinationen ablaufen soll. Ist der Patient in der Lage, noch ein wenig auf die Versorgung zu warten, dann kann man ihn darüber informieren, dass man noch einmal mit dem Arzt Rücksprache halten möchte. Nach Klärung der Fragen kann dann gefahrlos eine Versorgung stattfinden. So steigert die Apotheke vor Ort gleichzeitig ihre Kompetenz wie auch die Sicherheit in der Patientenversorgung.
Mit den Ärzten in der näheren Umgebung sollte jede Apotheke, die etwas in dieser Art umsetzen möchte, im Vorfeld noch einmal gesondert sprechen, damit sich niemand überrumpelt fühlt. So kann ein wertschätzender Dialog begonnen werden, der für alle Seiten – Apotheke, Arztpraxen und Patienten – nur Vorteile bringt.
Bildquelle: Matt Briney, Unsplash