Kliniken müssen ab sofort umfassendere Daten zu COVID-Patienten ans Gesundheitsamt melden. Doch wie sinnvoll ist das und was sollen uns diese Daten sagen?
Seit Montag ist eine neue Verordnung in Kraft, die Kliniken in Zukunft dazu verpflichtet, umfassendere Daten zu Covid-Patienten zu melden.
Wie schon Anfang der Woche berichtet, schrieb Jens Spahn nach dem Wochenende auf Twitter „Da die gefährdeten Risikogruppen bereits geimpft sind, bedeutet eine hohe Inzidenz nicht automatisch eine ebenso hohe Belastung bei den Intensivbetten.“ Hintergrund war die Debatte über neue Kennwerte zur Beurteilung der Corona-Lage und über die Rolle der Sieben-Tage-Inzidenz. Noch am selben Tag unterzeichnete Spahn die neue Verordnung.
In Zukunft müssen die Kliniken nun alle Krankenhausaufnahmen, die auf COVID-19 zurückzuführen sind, melden. So soll es möglich sein, ihren Anteil an allen Intensivpatienten bestimmen zu können. Außerdem sollen auch Alter, Art der Behandlung, Überweisungen sowie Impf- und Serostatus der Patienten an die Gesundheitsämter gemeldet werden. Laut Spahn wolle man so erfahren, wer erkrankt und wie gut die Person geschützt sei.
Hierzu gab es zuletzt jedoch Verwirrung, denn es gibt schon umfassende Meldepflichten zu Corona-Patienten. Kliniken müssen schon jetzt Krankheitsverdacht, Erkrankung oder Tod in Bezug auf COVID-19 melden. Auch Angaben über den Zeitpunkt oder Zeitraum der Infektion und zum Impfstatus werden bereits erfasst.
Hierzu äußerte sich auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in einer Stellungnahme kritisch: „Es erschließt sich [...] nicht, welchen zusätzlichen Erkenntnisgewinn man sich dadurch erhofft, dass die Angabe zur Hospitalisierung nun nochmals über eine eigene Verordnung geregelt werden soll. Diese Angabe liegt den Gesundheitsämtern bereits jetzt vor.“ Auch sei die Erfassung und Übermittlung mit eventuell permanenten Nachmeldungen zu Patienten für Krankenhäuser unter Umständen „mit einem sehr hohen Aufwand verbunden“ – zumindest solange nicht alle Krankenhäuser an das elektronische Meldesystem DEMIS angeschlossen seien. Denn die Meldungen können so nicht automatisch aus den Krankenhausinformationssystemen (KIS) erfolgen.
Das Gesundheitsministerium betonte, dass es bei der erweiterten Meldepflicht unter anderem um detailliertere Angaben zur Impfung der Betroffenen ginge. So soll in Zukunft festgestellt werden können, wie gut vollständig Geimpfte wirklich vor schweren Verläufen geschützt seien, denn auch der verwendete Impfstoff muss nun erfasst werden. Die Daten sollen dann von den Gesundheitsämtern an die zuständigen Landesbehörden und weiter an das Robert-Koch-Institut (RKI) gehen. Bisher sei laut Gesundheitsministerium die Annahme, dass der Inzidenzwert durch die Impfungen an Aussagekraft verliere, noch nicht bestätigt.
„Die Intensivbelegung und Neuaufnahmen bleiben zwar wichtig, aber sie werden durch den zunehmenden Schutz der vulnerablen Gruppen nicht mehr so stark und schnell steigen, sofern sich die vierte Welle nicht zu schnell aufbaut“, erklärt Prof. Christian Karagiannidis, Leiter des ECMO-Zentrums am Klinikum Köln-Merheim.
Deshalb würden mehrere Parameter zur Einschätzung der aktuellen Situation benötigt. „Ich plädiere ebenfalls sehr stark für einen Dreiklang aus Inzidenz (Infektionsdynamik), Intensivbelegung sowie Krankenhausneuaufnahmen. Dieser Dreiklang wird uns helfen die Situation präziser einschätzen zu können.“ Die automatisierte Datenerfassung müsse dabei in den kommenden Monaten zur Priorität gemacht werden. Wichtig sei, so Karagiannidis, insbesondere auch der Impfstatus, um zu sehen, ob sich die Impfwirkung abschwächt oder wie viele zivile non-Responder es gebe, „vor allem unter den vielen immunsupprimierten Patienten in Deutschland“.
Aber auch der Intensivmediziner sieht den bürokratischen Mehraufwand als Belastung. „Eine ad-hoc-Umsetzung kann aktuell nur durch händische Eingabe erfolgen. Bei wenigen Patienten ist das kein Problem, bei einer erneuten Welle dann aber noch mehr Bürokratie für uns alle. Viele von uns sind am Limit, was den bürokratischen Aufwand unseres Berufes betrifft. Daher müssen wir hier dringend automatisiert unterstützen.“
Außerdem bleibe auch bei der Erfassung von mehr Daten etwas auf der Strecke: „Ein Punkt, der nicht automatisiert erfassbar ist, ist die Einschätzung des behandelnden Arztes, ob der Patient wegen COVID-19 oder mit COVID-19 in die Klinik kommt. Handelt es sich um Luftnot bei COVID-19-Pneumonie oder aber um ein gebrochenes Bein bei einem Kind, dass zufällig positiv für COVID-19 ist, jedoch ohne respiratorische Symptome? Diese Einschätzung muss der behandelnde Arzt treffen.“
Auch Prof. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin in München, findet die Erfassung von mehr Daten sinnvoll. „Hierbei geht es darum, bereits früh Belastungsgrenzen für den Gesundheitssektor und nicht zuletzt auch für den Kliniksektor zu erkennen.“ Die Hospitalisierungsrate erfasse im Gegensatz zur alleinigen Messung der Belegung von Intensivbetten auch die Normalstationen in Kliniken. „Dies ist wichtig, da auch hier Personal gebunden ist und in Kliniken Bettenkapazitäten aus anderen Bereichen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden müssten.“
Besonders entscheidend sei aber die Erfassung des Impfstatus der aufgenommenen COVID-19-Patienten. „Alarmiert wäre man, wenn sich angesichts der drohenden Delta-Welle vermehrt Patienten in den nächsten Wochen und Monaten in den Kliniken einfinden würden, die bereits vollständig geimpft waren.“ Auf diese Weise könne man wichtige Hinweise für die Steuerung von Drittimpfung-, beziehungsweise Booster-Impfungen ziehen.
„Insgesamt ist es gut, dass nunmehr ein feingranuläres Frühwarnsystem in den Kliniken installiert werden soll, sodass eine Belastungsprobe des Gesundheitssystems nicht erst dann offensichtlich wird, wenn Intensivstationen überfüllt sind.“
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