Nichts spaltet Vertreter der Heilberufe mehr als der Vergleich von evidenzbasierter und alternativer Medizin. Unzählige Menschen schwören auf Homöopathie. Studien zeigen, sie wirkt nicht besser als ein Placebo. Ob nachweislich wirksam oder nicht, ist das überhaupt entscheidend?
„Die Grundlagen der Homöopathie sind nicht konform mit unserem aktuellen Wissensstand in der Biologie, Physiologie und der Pharmakologie“, ließen Wissenschaftler vom australischen National Health and Medical Research Council (NHMRC) kürzlich verlauten. Dennoch schwören unzählige Menschen weltweit auf die heilende Wirkung der hohen Verdünnungen. Ist alles nur Humbug, Geldmacherei oder ein durch persönliche Zuwendung verstärkter Placebo-Effekt? Die Forschungsorganisation NHMRC hat mehr als 1.800 Studien zur Homöopathie unter die Lupe genommen. Lediglich 225 davon dienten als Grundlage ihrer Stellungnahme: Homöopathie wirkt nicht besser als ein Placebo. Alle anderen Reviews fielen wegen eines schlechten Studiendesigns, zu wenigen Probanden oder mangelnder Neutralität der Auftraggeber durchs Raster der Wissenschaftler.
Forscher versuchen nun auch, die Wirksamkeit homöopathisch potenzierter Arzneimittel mit den Werkzeugen der modernen Molekularbiologie wie der DNA-Chip-Technologie nachzuweisen. Erst kürzlich berichteten zwei italienische Forscher [Paywall] über eine veränderte Genexpression im Zellkern nach der Applikation von hoch verdünnten Stoffen. Dadurch solle sich das Muster der Funktionsproteine in der Zelle ändern. Gerne hätte DocCheck mit den Autoren über die Details ihrer Studie gesprochen, doch diese waren zu keinem Gespräch bereit.
Es scheint absurd, dass Substanzen, die bis unter die Nachweisgrenze verdünnt wurden, einen Effekt im Körper haben sollen. Mit den Gesetzen der klassischen Naturwissenschaft hat das nichts mehr zu tun. Vielleicht hilft es, einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der Homöopathie zu werfen? Der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, lebte von 1755 bis 1843. Zu dieser Zeit waren Aderlass und Behandlungen mit Arsen und anderen giftigen Stoffen an der Tagesordnung. Viele Patienten überlebten ihre Therapien nicht. Hahnemann bot zum ersten Mal Alternativen an, die wegen der hohen Verdünnungen nicht tödlich verliefen. Das rettete vielen Menschen das Leben. Doch wie sieht es heute aus?
Ist die heutige Medizin zu stark ökonomischen Zwängen unterworfen? Krankenhäuser sind längst zu profitorientierten Unternehmen geworden. Wie viel kann die konventionelle, evidenzbasierte Medizin leisten, wenn aus leidenden Menschen zahlende Kunden werden, sich ein Hausarzt nicht mehr als 8 Minuten Behandlungszeit für jeden Patienten erlauben darf? „Dann stimmen die Menschen mit den Füßen ab, sie gehen dahin, wo sie mehr Zuwendung bekommen“, erklärt der Arzt und Kabarettist Eckard von Hirschhausen den Zulauf zu Homöopathen.
Homöopathie wirkt, zumindest manchmal. Das haben viele schon am eigenen Leib erfahren. Oder ist es vielleicht das mangelnde Wissen über den Krankheitsverlauf des Einzelnen, der Homöopathie (scheinbar) wirken lässt? Die klassische Erkältung, die mit und ohne Globuli nach gut einer Woche ausheilt? Die Rückenschmerzen, die durchschnittlich ohne Behandlung nach sechs Wochen nicht mehr spürbar sind? Wenn es uns schlecht geht, der Kopf brummt, die Rückenschmerzen uns ins Bett zwingen, dann wollen wir etwas tun, uns nicht tatenlos unserem Schicksal ergeben. Ist es vielleicht der Griff zu den Globuli zum „richtigen“ Zeitpunkt im Krankheitsverlauf, nämlich an ihrem Tiefpunkt? Wäre es uns ohne Globuli tatsächlich immer schlechter ergangen? Wie die Krankheit ohne homöopathisches Zutun verlaufen wäre, können wir im Nachhinein nicht mehr beurteilen. Das können nur groß angelegte, placebokontrollierte Studien. Und die sprechen offenbar gegen die Wirksamkeit der Homöopathie.
Die australischen Studienautoren gehen noch weiter und warnen sogar in bestimmten Fällen vor homöopathischen Behandlungsmethoden: „Homöopathie sollte nicht bei chronischen oder schwerwiegenden Leiden angewandt werden“, raten die Wissenschaftler des NHMRC. Wer Homöopathie wähle, setzte immer dann seine Gesundheit aufs Spiel, wenn er eine wirksame und sichere Behandlung ablehne oder hinauszögere, mahnen die Forscher als Fazit ihrer Metastudie. Wer als Krebskranker einer Operation zunächst ablehnt und auf alternative Heilmethoden setzt, deren Wirksamkeit nicht bestätigt wurde, riskiert damit möglicherweise sein Leben. Eine ähnliche Erfahrung musste auch der Unternehmer Steve Jobs machen. Als ein operables Pankreaskarzinom bei ihm diagnostiziert wurde, entschied er sich zunächst, den Krebs durch eine Nahrungsumstellung zu bekämpfen. Nach acht Monaten brachte ein MRT ein ernüchterndes Ergebnis der alternativen Behandlungsmethode zu Tage: Der Tumor hatte gestreut, Steve Jobs musste sterben.
Doch was spricht eigentlich dagegen, beide Heilansätze zu vereinen, sie mit gesundem Menschenverstand miteinander zu kombinieren und dem Patienten das Beste aus „beiden Welten“ anzubieten? Sicher profitiert ein Krebspatient von einer gesunden Ernährung, allerdings erst nach der Tumoroperation. Am Ende geht es sowohl Ärzten als auch Heilpraktikern darum, dem Menschen zu helfen. Vielleicht kann Ferrum phosphoricum bei einem Schnupfen tatsächlich bessere Dienste leisten als das Antibiotikum, das Patienten so oft von ihrem Arzt erwarten, obwohl es gegen virale Infektionen gar nicht wirken kann? Vielleicht hilft die ausführliche, homöopathische Anamnese dem Patienten, sich ernst genommen zu fühlen und sich besser mit den Ursachen seine Erkrankung auseinander setzen zu können? Und möglicherweise steckt hinter den chronischen Abdominalschmerzen gar keine Darmentzündung, sondern eine Depression, die sich in 8 Minuten nicht so einfach diagnostizieren lässt? Vielleicht sollten Ärzte und Heilpraktiker einfach häufiger zusammenarbeiten, anstatt sich Sätze wie „Wer heilt, hat recht“ um die Ohren zu hauen? Unbefriedigend, ja teilweise gefährlich wird es für den Patienten nur dann, wenn er sich strikt zwischen Alternativ- und evidenzbasierter Medizin entscheiden muss. Einen Versuch wäre es wert. Originalpublikation: NHMRC Statement on Homeopathy and NHMRC Information Paper – Evidence on the effectiveness of homeopathy for treating health conditions The National Health and Medical Research Council (NHMRC); 2015