Für die Behandlung von COVID-19 kommt jetzt ein Wirkstoffkandidat ins Spiel, der auf den ersten Blick überrascht. Es handelt sich um das Antiandrogen Proxalutamid.
Derzeit werden auf der ganzen Welt mehrere hundert Medikamente auf ihre Wirksamkeit bei COVID-19 untersucht. Das nichtsteroidale Antiandrogen Proxalutamid ist eines davon. Die These der Wissenschaftler: Proxalutamid ist in der Lage das Eindringen von SARS-CoV-2 in die Zelle zu verhindern, indem es die Expression der Transmembran-Protease Serin 2 (TMPRSS2) herunterreguliert. Und ohne dieses Enzym kann das Virus nicht in die Wirtszelle gelangen. Auch Stoffe, die TMPRSS2 hemmen, wie Camostat, Nafamostat und Upamostat befinden sich bereits in klinischen Prüfungen mit Covid-19-Patienten.
Da die Transkription von TMPRSS2 durch den Androgenrezeptor reguliert wird, sind Androgenrezeptorblocker wie Proxalutamid in der Lage, die Expression der Serinprotease auf den Wirtszellen herunterzuregulieren. Das scheint im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion ganz gut zu funktionieren: In einer Phase-III-Studie erzielte der experimentelle antiandrogene Wirkstoffkandidat beeindruckende Ergebnisse. Die Mortalität hospitalisierter Covid-19-Patienten konnte in der Studie durch Proxalutamid signifikant reduziert werden. Gleiches gilt für die Dauer der klinischen Behandlung. Die Ergebnisse stehen auf dem Preprint-Server MedRxiv zur Verfügung.
Primärer Endpunkt der placebokontrollierten randomisierte Studie, die in Brasilien durchgeführt wurde, war eine Verbesserung des klinischen Zustands bis zum Tag 14. Die 645 Teilnehmer wurden anhand einer Skala von 1 (Entlassung aus der Klinik) bis 8 (Tod) beurteilt. Die hospitalisierten, aber nicht auf eine Beatmung angewiesenen Patienten mit COVID-19 erhielten randomisiert, zusätzlich zur Standardtherapie, entweder täglich 300 mg Proxalutamid oder ein Placebo.
Nach 14 Tagen wurde in der Proxalutamid-Gruppe eine deutlich niedrigere Punktverteilung beobachtet als in der Placebo-Gruppe. Der mittlere Score lag hier bei 1 in der Proxalutamid-Gruppe, gegenüber 7 in der Placebo-Gruppe (P<0,001). An Tag 14 konnten unter Proxalutamid 81,4 Prozent der Patienten als genesen betrachtet werden (95%CI: 76,7 – 85,3), in der Placebogruppe waren es rund 35,7 Prozent (95%CI: 30,7 – 40,1). Unterschiede zwischen den Geschlechtern gab es nicht.
Das Mortalitätsrisiko konnte während des Beobachtungszeitraums von 28 Tagen durch die Behandlung mit dem Antiandrogen um 77 Prozent gesenkt werden: Nach vier Wochen waren 49,4 Prozent der Patienten in der Placebogruppe verstorben (95%CI: 44 – 54,7). In der Proxalutamid-Gruppe waren es nur 11 Prozent (95%CI: 8 – 14,9). Die mediane Krankenhausverweildauer konnte durch das Medikament um fünf Tage verkürzt werden.
Die Studienautoren geben zu bedenken, dass der beobachtete Effekt von Proxalutamid bei anderen Varianten noch größer sein könnte. Zum Zeitpunkt der Studie war die Gamma-Linie (P.1) für mindestens 70 Prozent der aktuellen SARS-CoV-2-Infektionen in Brasilien verntwortlich, im Bundesstaat Amazonas waren es sogar etwa 90 Prozent. Die Gamma-Variante zeigt eine erhöhte Affinität für ACE-2, was möglicherweise zu höheren Viruslasten, als Infektionen mit anderen Stämmen führt. Die Autoren schreiben: „Es ist daher ermutigend, dass Proxalutamid in einer Region mit hoher P.1-Prävalenz wirksam war.“ Aufgrund der erhöhten Sterblichkeit in Brasilien innerhalb des Studienzeitraums fordern sie jedoch dringend weitere Untersuchugen mit Proxalutamid und anderen Antiandrogenen in verschiedenen Settings.
Zur den Studienergebnissen kommt ihr hier.
Bildquelle: Ben White, unsplash