Ist das Protein SerpinA3N in zu geringer Menge vorhanden, kann eine chronische Überempfindlichkeit entstehen. Ein Medikament gegen Atemwegserkrankungen wirkt auf diesen Schutzmechanismus ein und lindert die Schmerzüberempfindlichkeit.
Nervenschäden bei Diabetes oder Multipler Sklerose, Nervenverletzungen, etwa nach einem Unfall, Bandscheibenvorfälle oder Tumoren hinterlassen meist bleibende Spuren im Nervensystem und verursachen häufig chronische Schmerzen. Selbst wenn die ursprüngliche Verletzung geheilt ist, reagieren die Nervenzellen mit ihren Ausläufern in Armen, Beinen und Haut bereits auf leichte Reize wie Berührungen empfindlich. Bislang gibt es keine befriedigende Therapie für chronisch schmerzkranke Patienten: Bei rund der Hälfte bleiben die Schmerzen trotz Therapie weiter bestehen oder die verfügbaren Medikamente können aufgrund der zahlreichen Nebenwirkungen nicht ausreichend hoch dosiert werden. In Deutschland sind mehrere Millionen Menschen betroffen. Die Suche nach den molekularen Hauptakteuren bei Neuropathien gestaltet sich schwierig: Bei einer Verletzung am Rückenmark verändert sich die Aktivität hunderter Gene und Proteine, die für Reparatur- und Heilungsprozesse, die Schmerzempfindlichkeit zur Schonung der verletzten Nervenzellen oder auch das Absterben von Nervenbereichen benötigt werden. „Es ist extrem schwierig, in diesem komplexen Zusammenspiel genau die Faktoren auszumachen, die unmittelbar mit dem Schmerzempfinden zusammenhängen“, sagt Seniorautorin Professor Dr. Rohini Kuner, Geschäftsführende Direktorin des Pharmakologischen Instituts der Universität Heidelberg. Dank einer Teststrategie gelang es, die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu finden. Dabei handelt es sich um das Protein SerpinA3N, das im Tierversuch den wesentlichen Unterschied zwischen anhaltender Schmerzüberempfindlichkeit und normalem, wieder abklingendem Wundschmerz nach einer Nervenverletzung ausmachte. Während ein hoher Spiegel an SerpinA3N die Mäuse vor Überempfindlichkeit und Neuropathie schützte, hatte sein Fehlen bzw. ein Mangel eine anhaltend höhere Empfindlichkeit gegenüber leichten Druckreizen zur Folge.
Doch welcher Faktor löst die Überempfindlichkeit aus, vor der SerpinA3N schützt? Als Übeltäter erwies sich das Enzym Elastase, das beispielsweise von Leukozyten gebildet wird. Es wird von SerpinA3N, wenn dieses in ausreichender Menge vorhanden ist, gehemmt. „Die Leukozyten-Elastase kennt man von Entzündungsreaktionen z.B. bei Atemwegserkrankungen. Dass es eine so wichtige Rolle bei Nervenschmerzen spielt, war eine Überraschung“, sagt Lucas Vicuna, Doktorand bei Professor Kuner und Erstautor des Artikels. In diesem Fall stammt das Enzym jedoch nicht von Leukozyten, sondern von T-Zellen, die in das verletzte Nervengewebe einwandern. „Auch dieser Mechanismus war vorher noch völlig unbekannt“, so Vicuna. „Diese Ergebnisse liefern uns mehrere neue Ansatzpunkte für Therapien: Man könnte die Leukozyten-Elastase oder eventuell auch die Einwanderung der T-Zellen hemmen. Für beide Wege befinden sich bereits Wirkstoffe in der Entwicklung, allerdings zur Behandlung anderer Erkrankungen“, sagt Professor Kuner. So kam in der Arbeit ein Medikament zum Einsatz, das in Japan zur Therapie bei Lungenentzündungen zugelassen wurde und wie SerpinA3N die Elastase blockiert. Originalpublikation: The serine protease inhibitor SerpinA3N attenuates neuropathic pain by inhibiting T cell–derived leukocyte elastase Lucas Vicuna et al.; Nature Medicine, doi: 10.1038/nm.3852; 2015