„Erhöhtes Sterberisiko“, „erhebliche Langzeitfolgen“ titelt ein Nachrichtenmagazin in Sachen Corona und Herz. Nicht falsch, oder doch? Ein Fakten-Check.
„COVID-19 macht das Herz kaputt!“ – „Selbst symptomlose Infizierte entwickelten in ihrer Mehrheit Herzschäden!“ Dass SARS-CoV-2 auf die Pumpe geht, war ein zentraler Sound der Corona-Diskussionen im Sommer 2020, in den Monaten nach der ersten Welle. Zugrunde lagen dem einige MRT-Studien, die bei einem hohen Anteil der jeweils Untersuchten überwiegend subklinische Veränderungen in der Kardio-MRT gezeigt hatten.
Zwar gab es damals schon viele, die darauf hinwiesen, dass Selektions-Bias ein Problem sein könnte und dass MRT-Biomarker ohne begleitende klinische Symptome mit etwas Vorsicht interpretiert werden sollten, zumal ohne Kontrollgruppen von Patienten mit anderen Infektionen. Durchgedrungen ist das damals nicht. Sirenen wie Karl Lauterbach amplifizierten die Ergebnisse der Biomarker-Studien, ohne auch nur einen Versuch der Einordnung zu unternehmen. Soziale Medien, Tagespresse und Wissenschaftsseiten der Zeitungen sprangen auf.
Gut 15 Monate nach Beginn der Pandemie haben Kardiologen aus Deutschland jetzt im Rahmen der Vorstellung des Herzbericht 2020 einen Überblick gegeben darüber, was bekannt ist in Sachen COVID-19 und Herz und wichtiger noch, wie Herzpatienten insgesamt die COVID-19-Pandemie durchgestanden haben. Zwei verwandte, aber dann doch auch unterschiedliche Fragestellungen. Prof. Dr. Andreas Zeiher von der Universitätsmedizin Frankfurt am Main betonte, dass sich, was die myokardiale Beteiligung bei SARS-CoV-2-Infektion angeht, das Gesamtbild mittlerweile eher erfreulich ausnehme.
Zum einen seien fulminante Virusmyokarditiden – wie sie bei anderen systemischen Infektionen mitunter vorkommen können – bei SARS-CoV-2-Infektion eher selten. Insbesondere gebe es kaum Hinweise für einen relevanten direkten Virusbefall der Kardiomyozyten. Die MRT-Veränderungen nach COVID-19 bzw. SARS-CoV-2-Infektion seien aller Wahrscheinlichkeit nach Folge der systemischen Aktivierung des Entzündungssystems, so Zeiher.
Insgesamt ist der Anteil der SARS-CoV-2-Infizierten mit MRT-Veränderungen in breiten, nicht selektierten Kohorten deutlich niedriger als anfangs beschrieben, und der Unterschied zu Kontrollgruppen ist oft nur gering. Symptomatische Myokarditiden sind eine Rarität.
Zeiher berichtete, dass am Universitätsklinikum Frankfurt und anderswo derzeit Langzeitauswertungen vorgenommen würden, in deren Rahmen COVID-19-Patienten mit auffälligem MRT im Verlauf Kontrolluntersuchungen erhalten. Die „MRT-Myokarditis“ verschwinde bei rund 70 Prozent der Betroffenen wieder vollständig innerhalb einiger Monate, so Zeiher. Wichtiger noch: Für Einschränkungen der Herzfunktion gibt es bei den allermeisten Patienten keine Hinweise, weder initial noch im weiteren Verlauf. „Long-Herz-Covid“ ist also eher kein Problem, zumindest ist das die derzeitige Datenlage. Der „Biomarker“ eines Ödem-Signals in der kardialen MRT übersetzt sich bisher nicht in klinisch relevante Funktionseinschränkungen.
Die Ausnahme dieser Regel sind Patienten, die im Rahmen ihrer COVID-19-Erkrankung eine akute kardiale Komplikation erleiden. Diese Patienten sind in der Regel Intensivpatienten und die kardialen Komplikationen sind zum Beispiel Myokardinfarkte als Folge der systemischen Gerinnungsstörung, die schwer kranke COVID-19-Patienten regelhaft entwickeln. Dabei kann es, wie bei jedem Myokardinfarkt, zu relevanten linksventrikulären Funktionseinschränkungen kommen, aber auch hier ist das zumindest nicht die Regel. Nur 5 Prozent bis 7 Prozent deren, die initial mit einer Troponin-Erhöhung als Hinweis auf einen akuten Myokardschaden auffielen, entwickelten im Verlauf eine Erhöhung des NTproBNP als Hinweis auf eine Herzinsuffizienzkomponente, so Zeiher.
Dass die Corona-Pandemie dennoch massive Auswirkungen auf die Versorgung von Herzpatienten hat und möglicherweise zu relevanten negativen Langzeitfolgen führen wird, machte Prof. Dr. Stephan Baldus vom Herzzentrum der Universität Köln deutlich: „Herzpatienten haben in dramatischer Weise ärztliche Hilfe nicht aufgesucht. Die Sterblichkeit dadurch ist höher als das, was Covid selbst verursacht hat.“
Daten zur Versorgung von Herzpatienten während der COVID-19-Pandemie haben die deutschen Kardiologen für die erste Welle zusammengetragen, bezogen auf das Land Hessen in diesem Fall. Sie wurden mittlerweile auch schriftlich publiziert. Die Zahl der Herzkatheteruntersuchungen ist während des Lockdowns demnach um über ein Drittel zurückgegangen, gleichzeitig stieg die kardiovaskuläre Mortalität um 8 Prozent und die Gesamtmortalität der Herzpatienten um 12 Prozent an.
Analoge Daten gibt es aus anderen Ländern. Eine aktuelle Publikation im European Heart Journal QCCO hat britische Versorgungs- und Mortalitätsdaten aus den Monaten Februar bis Mai ausgewertet, also auch die erste Welle, und hat diese Daten mit den Vorjahren verglichen. Dabei zeigte sich ein Rückgang der Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz um 60 Prozent. Gleichzeitig stiegen die ambulanten Todesfälle wegen Herzinsuffizienz um 31 Prozent an und die Todesfälle wegen Herzinsuffizienz in Pflegeheimen um 28 Prozent.
Die Botschaft der Kardiologen in Richtung Herzpatienten ist jedenfalls klar: Delta-Welle hin oder her, nicht zuhause bleiben, wenn sich Beschwerden verschlechtern. „Es ist enorm wichtig, jetzt wieder das Vertrauen in die Medizin und in die Akut- und Chronikerversorgung herzustellen“, betonte Baldus. Gelinge dies nicht, drohten erhebliche Langzeitfolgen, nicht so sehr durch das Virus selbst, sondern durch die pandemiebedingten Versorgungsdefizite.
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