Von 8 auf 15 Prozent: So rasant breitet sich Delta in Deutschland aus. Andernorts mischt jetzt die Delta-Plus-Variante das Infektionsgeschehen auf. Sie könnte noch ansteckender sein als Delta, vermuten Experten.
Neben dem Vereinigten Königreich ist Delta (B.1.617.2) jetzt auch in Portugal und Russland die dominierende Corona-Variante. Auch in anderen Ländern verdrängt sie zusehends die Alpha-Variante. Hierzulande sinken zwar die Infektionszahlen insgesamt, doch mehrere Bundesländer haben in den letzten Tagen gemeldet, dass der Anteil der Variante an den Neuinfektionen zuletzt spürbar gestiegen sei. Laut RKI wurde Delta inzwischen in 15 % der Proben nachgewiesen, der Anteil von Alpha lag zuletzt bei 75 %. Beta (B.1.351) und Gamma (P.1) bleiben auf konstant niedrigem Niveau. Delta scheint also gewisse Vorteile zu haben.
Laut der britischen Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) bestehen für Delta Hinweise auf eine erhöhte Übertragbarkeit: Zum einen weist Delta eine höhere Fallanstiegsrate auf als die bisher in Großbritannien vorherrschende Variante Alpha und zum anderen zeigen Kontaktnachverfolgungsdaten, dass für Delta-Infizierte der Anteil infizierter Kontaktpersonen höher ist als für Alpha-Infizierte.
„Delta ist noch ein Stück ansteckender als die derzeit vorherrschende Virusvariante Alpha“, erklärt Carsten Watzl von der Deutsche Gesellschaft für Immunologie. „Anhand der bisherigen, noch unsicheren Daten bräuchte man wohl rund 85 Prozent immune Menschen in der Bevölkerung, um die Ungeimpften indirekt mit zu schützen.“
Diese wichtigen Mutationen weist das Spike-Protein der Delta-Variante auf:
Erste Daten zur Schwere der assoziierten Krankheitsverläufe weisen zudem darauf hin, dass Delta-Infizierte höhere Hospitalisationsraten aufweisen als Alpha-Infizierte. Diese Daten gelten allerdings noch als vorläufig, es gibt auch Datensätze, die das nicht zeigen.
Die Wirksamkeit der Impfungen scheint in ersten Analysen nicht erheblich eingeschränkt zu sein. Laut einer Analyse von Public Health England (PHE) liegt die Effektivität in Bezug auf Krankenhauseinweisungen bei doppelter Impfung mit Biontech bei 96 Prozent und bei AstraZeneca bei 92 Prozent. Eine weitere von der PHE veröffentlichten Studie kommt für weniger schwere COVID-19-Fälle zu ähnlichen Ergebnissen. Demnach ist der Biontech-Impfstoff zwei Wochen nach der zweiten Dosis zu 88 Prozent wirksam gegen eine durch die Delta-Variante ausgelöste symptomatische COVID-19-Erkrankung.
Allerdings zeigt sich in England auch, dass die Zahl der beatmeten Patienten mit der Delta-Variante wieder zunimmt. Bisher steigen die Krankenhauseinweisungen aber längst nicht so stark wie in früheren Wellen, es gibt sogar erste, noch mit Vorsicht zu interpretierende Hinweise auf eine Plateau-Bildung. Ob das so bleibt, wird sich aber erst in den nächsten Wochen zeigen.
Auch Durchbruchsinfektionen und Corona-Todesfälle unter doppelt geimpften Personen nehmen zu. Dazu passt eine Analyse aus Indien: Bei Durchbruchsinfektionen von 100 Klinikmitarbeitern dominierte die Delta-Variante. Sie war zudem mit einer höheren Viruslast assoziiert. Aber das scheint nicht zu überraschen: „Obwohl etwa 10 % der hospitalisierten Fälle der Delta-Variante bei denjenigen aufzutreten scheinen, die 2 Impfstoffdosen erhalten haben, liegt dies durchaus im Bereich des Schutzes von 80–90 %, der nach zwei Impfstoffdosen vermittelt wird“, erklärt Dr. Julian Tang, Klinischer Virologe der University of Leicester.
Für Tang ist vor allem der Erwerb der K417N-Mutation in der neuen Delta-Variante, die auch Delta Plus (Delta-AY.1) genannt wird, eine besorgniserregende Entwicklung. Bei ihr handelt es sich um eine Untervariante von Delta, die in Indien aufgetaucht ist und die erstmals am 11. Juni in einem Bericht des PHE Erwähnung fand. Einige Wissenschaftler befürchten, dass diese Mutation, gepaart mit anderen vorhandenen Merkmalen der Delta-Variante, diese (noch) übertragbarer und impfstoffresistenter machen könnte.
„Wir wissen, dass diese Mutation in der Beta-Variante vorkommt, die sowohl eine erhöhte Übertragbarkeit als auch signifikante Impfstoff-Escape-Eigenschaften aufweist“, meint Tang. „Es ist wahrscheinlich, dass diese K417N-Mutation zusammen mit der L452R-Mutation, die in allen indischen Varianten vorkommt, die Impfstoff-Escape-Eigenschaften von Delta-AY.1 verstärken kann.“
Noch ist diese Untervariante zwar selten – in Großbritannien etwa gab es erst 36 Fälle. Aber: „Eine weitere Lockerung der Beschränkungen für diese potenziell hoch übertragbare Delta-AY.1-Variante mit potenziell noch effektiveren Impfstoff-Escape-Eigenschaften, mit einer Hospitalisierungsrate von etwa 10 % selbst bei Personen, die zwei Impfdosen erhalten haben, wird ein Problem darstellen, wenn wir in die Wintersaison 2021 eintreten – insbesondere wenn die saisonale Grippe und andere Atemwegsviren zurückkehren, wenn die COVID-19-Beschränkungen aufgehoben werden“, so der Virologe.
Francois Balloux, Professor für Computational Systems Biology, sieht die Lage entspannter: „Angesichts der winzigen Anzahl der gemeldeten Zahlen ist nichts über die Übertragbarkeit, die Immunevasion oder die Letalität des Delta-Plus-Stammes bekannt. Die Tatsache, dass er überall dort, wo er identifiziert wurde, mit sehr geringer Häufigkeit auftrat, deutet jedoch darauf hin, dass er nicht übertragbarer ist als sein Delta-Vorläufer.“
Bildquelle: Jay Ruzesky, unsplash