Eine große Studie zur Kühlung bei Herzstillstand endet krachend negativ und könnte das Ende der Hypothermie in den Leitlinien bedeuten. Aber Vorsicht vor zu weitreichenden Schlüssen.
Die Hypothermie bei komatösen Patienten mit Herzstillstand ist eine der meistdiskutierten Maßnahmen der Rettungsmedizin. Es geht um die gezielte Absenkung der Körpertemperatur in der Akutphase der Versorgung, also in den ersten ein bis zwei Tagen. Ziel ist die Verringerung der Sterblichkeit, vor allem aber eine Verbesserung des neurologischen Outcomes.
Den Nutzen der Hypothermie hatten Anfang der Nullerjahre zwei randomisierte Studien gezeigt, die HACA-Studie bei Patienten nach Kammerflimmern und eine kleine, namenlose Studie von Stephen Bernard bei Patienten mit Herzstillstand anderer Ursache. In den damaligen Studien wurde extern gekühlt, heute erfolgt in der Regel eine intravaskuläre Kühlung per Infusion oder eine Kombination aus beidem. Die frühen Studien bildeten die Grundlage für die Aufnahme der Hypothermietherapie in die Leitlinien des International Liaison Committee on Resusciation (ILCOR) und des European Resuscitation Council (ERC).
Seither wurde über diese Empfehlungen im Lichte neuerer Studie immer wieder kritisch diskutiert. So hatte die 2013 publizierte TTM-Studie ein Temperaturmanagement (TTM) mit Zieltemperatur 33 Grad Celsius mit einem solchen mit Zieltemperatur 36 Grad Celsius verglichen und fand keinen Unterschied in der Sterblichkeit und auch nicht im neurologischen Outcome. Darüber wurde viel diskutiert, unter anderem wurde der Studie vorgeworfen, nicht schnell genug heruntergekühlt zu haben. Dennoch: Die internationalen Leitlinien geben unter anderem wegen der TTM Studie keinen präzisen Zielwert für die Hypothermie vor, sie empfehlen Stand bisher ein TTM mit einer Zieltemperatur von irgendwo zwischen 32 bis 36 Grad.
Ob das noch lange so bleiben wird, ist mittlerweile etwas fraglich geworden. Bei der ACC 2021 Tagung wurden kürzlich die Ergebnisse der randomisierten CAPITAL CHILL Studie vorgestellt, die bei 389 komatösen Patienten mit Herzstillstand außerhalb des Krankenhauses ein Temperaturmanagement mit den Zieltemperaturen 31 Grad und 34 Grad über jeweils 24 Stunden mit dann schrittweiser Erwärmung verglichen hatte. In der Gesamtschau gab es bei Tod und neurologischem Outcome keinerlei Unterschiede, und es ließen sich auch keine Subgruppen finden, die von der stärkeren Abkühlung profitiert hätten.
Im New England Journal folgt mit der Veröffentlichung der ungleich größeren TTM2-Studie jetzt der nächste Schlag. 1.900 komatöse Patienten nach Herzstillstand nahmen teil, auch hier wieder Patienten mit Herzstillstand außerhalb des Krankenhauses. Verglichen wurde ein TTM mit Zieltemperatur 33 Grad Celsius mit einem TTM mit Ziel Normothermie ≤ 37,5 Grad Celsius, wobei als Interventionsgrenze für Fiebersenkung 37,8 Grad Celsius definiert war. Die Zieltemperatur wurde für 28 Stunden aufrechterhalten, danach wurde über einen Zeitraum von 12 Stunden normalisiert.
Primärer Endpunkt war Tod jeglicher Ursache nach 6 Monaten, sekundär wurde das mit der mRS Skala gemessene, funktionelle Outcome nach 6 Monaten evaluiert. Es gab außerdem eine ganze Reihe präspezifizierter Subgruppen, darunter Geschlecht, Alter, Zeit bis zum Wiedererreichen einer spontanen Zirkulation und Vorliegen eines Schocks bei Aufnahme. Die Ergebnisse lassen sich sehr kurzfassen: Keine Unterschiede. Die Sterblichkeit lag mit bzw. ohne Hypothermie bei 50% bzw. 48%, ein schlechtes neurologisches Outcome, definiert als mRS Score von 4 oder mehr, hatten jeweils 55% der Patienten.
Teilweise liest sich die Veröffentlichung der Studienergebnisse etwas konsterniert. Es sei angesichts dieser Daten und in der Gesamtschau von TTM2-Studie und anderen Studien ziemlich unwahrscheinlich, dass eine Hypothermie irgendeine Art von klinisch relevanter Verbesserung bringe, so die Autoren. Externe Kritik gibt es allerdings auch, erneut an einer vorgeblich zu langsamen Kühlung von um die fünf Stunden von Wiederherstellung der Zirkulation bis Erreichen der Zieltemperatur. Viele Kommentatoren weisen allerdings darauf hin, dass die TTM2-Zentren sehr erfahrene Zentren waren, will sagen: Vermutlich geht es schlicht nicht viel schneller.
Unabhängig von dieser Diskussion stellt sich die Frage, die sich schon bei der TTM-Studie stellte: Wie zum Teufel sind diese Ergebnisse mit denen der beiden älteren Studien in Einklang zu bringen? Eine Möglichkeit wäre, dass sich die Notfallversorgung und intensivmedizinische Versorgung seither so stark verbessert hat, dass die Hypothermie nicht mehr ins Gewicht fällt. Eine andere Hypothese ist, dass die Ergebnisse der älteren Studien schlicht Zufall waren bzw. dass die älteren Studien zu klein waren. Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen: Was Studiengröße angeht, macht der TTM2 so schnell keiner was vor; sie war mehr als fünfmal so groß wie die beiden damaligen Studien zusammen!
Auch in dem die Studienpublikation begleitenden Editorial haben die beiden kanadischen Intensivmediziner Laurie J. Morrison und Brent Thoma spürbar Schwierigkeiten, die richtigen Lektionen für die Praxis zu formulieren. Sie weisen zunächst darauf hin, dass viele Länder nach der negativen TTM-Studie vor acht Jahren das gezielte Temperaturmanagement (TTM) zurückgefahren bzw. teilweise einfach nur noch bei Bedarf eine Fiebersenkung in Richtung Normothermie mit Acetaminophen/Paracetamol vorgenommen hätten.
Dies war aus Sicht von Morrison und Thoma damals die falsche Konsequenz, und es sei auch nach TTM2 die falsche Konsequenz. Denn was die beiden TTM-Studien zeigten, sei, dass die Hypothermie nicht zielführend sei, nicht dagegen, dass das TTM nicht erforderlich sei. Tatsächlich erhielten in der Normothermie-Gruppe immerhin 46 Prozent der Patienten ein aktives Temperaturmanagement, um die Normothermie aufrechtzuerhalten, ein knappes Drittel davon mit intravaskulärer Kühlung, der Rest mit Oberflächenkühlung. Untersucht wurde also nicht „Hypothermie gegen Paracetamol“, sondern „Temperaturmanagement gegen Temperaturmanagement“ mit zwei unterschiedlichen Zieltemperaturen.
Die These der Kommentatoren ist, dass die für intensivmedizinische Studien nach Herzstillstand außerhalb des Krankenhauses vergleichsweise niedrige Sterblichkeit von rund 50 Prozent in beiden Studienarmen von TTM2 auch eine Folge des TTM war, egal mit welcher Zieltemperatur. Aus historischen Vergleichen zu erwarten sei nämlich eine Sterblichkeit von eher 75 Prozent. Die Kommentatoren plädieren auch dafür, künftige TTM-Studien „personalisierter“ zu gestalten, mit unterschiedlichen Zieltemperaturen für unterschiedliche Patienten. So profitieren möglicherweise Patienten mit Hirnschaden mehr von der Kühlung als andere, dafür sprächen zumindest Tiermodelle.
Dennoch: Auch wenn sie das gezielte Temperaturmanagement nicht beerdigt, die therapeutische Hypothermie bei Patienten nach externem Herzstillstand dürfte nach TTM2 als Routinemaßnahme nur noch schwer zu rechtfertigen sein. Hier werden sich aller Voraussicht nach auch die internationalen Leitlinien ändern. Die Frage bleibt allerdings, welcher Stellenwert dem TTM ohne fixe Zieltemperatur in den Leitlinien zugewiesen wird. Denn für die Sinnhaftigkeit eines TTM gibt es zwar viele gute Argumente, aber harte Studiendaten, die heutigen Ansprüchen genügen, gibt es dann doch nicht so viele. Braucht es vielleicht doch eine TTM3-Studie, die ein TTM ohne Zieltemperatur mit bedarfsweiser medikamentöser Fiebersenkung vergleicht? Oder ist der Konsens „pro TTM“ groß genug, um es auf Basis begrenzter Evidenz als Standard zu definieren – mit Zieltemperatur Normothermie, aber nicht weniger?
Bildquelle: Jared Erondu, unsplash