In der Pandemie mussten sich Kliniken viel vorwerfen lassen. Jetzt kontern sie – und fordern radikale Reformen nach der Krise. Ist Spahn damit einverstanden?
Nach über einem Jahr Corona-Pandemie kehren viele Kliniken allmählich zur Normalität zurück – jetzt wird darüber diskutiert, wie das Klinikwesen nach der Bundestagswahl aussehen soll. Wie kommt die sektorenübergreifende Versorgung endlich voran? Und wird an den strittigen Fallpauschalen festgehalten? „Das System muss neu justiert werden", so das Fazit von Gerald Gaß, der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), beim zweiten virtuellen Krankenhausgipfel am Montag (21. Juni 2021). Zugeschaltet waren neben Klinikchefs auch Bundeskanzlerin Merkel und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Die wichtigsten Punkte der Debatte im Überblick.
Kliniken wurde während der Pandemie viel vorgeworfen. Die DKG nutzte den Gipfel zunächst, um mit „Mythen, die in den letzten Wochen und Monaten verbreitet wurden“ aufzuräumen, sagte Gaß. In Deutschland hätte jeder Patient intensivmedizinisch versorgt werden können, der Bedarf hatte. Mehr noch: Man sei sogar in der Lage gewesen, Patienten aus dem benachbarten Ausland aufzunehmen. Hintergrund ist der Vorwurf, dass in deutschen Kliniken während der Pandemie zu viele Patienten in Intensivbetten versorgt wurden. Die Gesellschaft wies das zurück.
Auch die hohen Kosten der Krisenbewältigung wurden zuletzt kritisiert. Vorwürfe kamen vom Bundesrechnungshof wie auch der gesetzlichen Krankenversicherung: Der Verbleib geförderter Intensivbetten sei unklar und auch mögliche Mitnahmeeffekte durch Ausgleichszahlungen wurden beanstandet. Gaß sieht keinen Grund für Kritik: Es gebe keinerlei Belege für finanzielle Tricksereien, man sei auch vom Rechnungshof dazu überhaupt nicht kontaktiert worden. Zum Vorwurf möglicher Manipulationen beim Aufbau und der Abrechnung zusätzlicher Intensivbetten sagte er: „Diese Betten existieren, sie sind aber nicht zur Gänze zum Einsatz gekommen. Das ist auch gut so.“
Schließlich kam das eigentliche Thema des Gipfels auf den Tisch: die zukünftige Ausrichtung der stationären Versorgung. Die DKG hat sich für einen Kurswechsel in der Krankenhauspolitik nach der Bundestagswahl ausgesprochen. Was die Gesellschaft will: Eine sektorübergreifende regionale Neuordnung der Versorgungslandschaft. Nur damit könne nach Ansicht der DKG eine dauerhaft hochwertige Versorgungsqualität in Deutschland sichergestellt werden. Dem stimmte nicht nur Spahn zu. Es sei jetzt an der „Zeit, die Ärmel hochzukrempeln“, forderte auch Janosch Dahmen, Arzt und Grünen-Politiker.
Konkret stellt sich die DKG die Zukunft so vor: „Wir wollen regionale Netzwerke in den Bundesländern entwickeln“, sagte Gaß. In der Pandemie hätten regionale von den Kliniken organisierte Versorgungsnetzwerke bewiesen, dass sie ein zukunftsfähiges Modell sind. Knackpunkt seien vor allem ländliche Gebiete, hier müssten ambulante und stationäre Versorgung zusammen gedacht werden: „Da die Versorgung über niedergelassene Ärzte in dünner besiedelten Regionen immer schwieriger wird, bieten sich hier die Krankenhäuser als Anlaufstellen für die Gesundheitsversorgung an“, so Gaß. Ginge es nach ihm sollten Krankenhäuser in ländlichen Bereich mehr als bisher auch die ambulante Versorgung übernehmen.
Dafür müssten die Bundesländer jedoch aktiv werden. Gaß: „Die Länder müssen nicht nur die Krankenhausversorgung in den Blick nehmen, sondern gleichzeitig auch die ambulante Versorgung und definieren, wer welche Aufgaben in den Regionen zu übernehmen hat."
Harsche Kritik gibt es seitens der DKG beim Thema Krankenhausfinanzierung. Ein riesiges Problem sei die nahezu ausschließlichen Finanzierung über Fallpauschalen: Das treibe Kliniken immer stärker in die Mengenentwicklung. Ein gestuftes Versorgungssystem zu organisieren und zu finanzieren, sei so unmöglich.
Spahn hält hingegen nichts von einer schnellen Abkehr vom Fallpauschalen-System in Kliniken. Er wisse, dass das Finanzierungssystem der DRGs nicht perfekt sei. „Ich sage aber auch, dass die Tagespauschalen noch weniger perfekt waren“, so der Bundesgesundheitsminister. Erstmal müsse sich darum gekümmert werden, dass die Krankenhäuser bedarfsgerechten Strukturen entwickeln. Solange es diese nicht gebe, sei ein leistungsorientiertes Finanzierungssystem für ihn die beste Option.
So plädiert Spahn zunächst für eine klare Definition dessen, was eine Grund- und Regelversorgung leisten soll. Im nächsten Schritt sollen dann spezialisierte Leistungen in der Region zusammengeführt werden.
Wütend macht die Kliniklobby auch die zunehmende Überregulierung. Durch den Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) seien die Prozesse auf Station bis ins Detail durchreguliert. „Wir lähmen mit bürokratischen Vorgaben die einzelne Aufgabenstellung in den einzelnen Kliniken. Die Mitarbeiter fühlen sich mehr als Erfüllungsgehilfen in einem anonymen System als verantwortliche Entscheider für die Patienten,“ so Gaß.
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