Ein Patient (43, Nichtraucher) klagt seit mehreren Wochen über geschwollene Lymphknoten am Hals und in der Achsel. Er hat ungewollt an Gewicht verloren und berichtet zudem von starkem Nachtschweiß. Vorerkrankungen sind nicht vorhanden. Ihre Diagnose, Ihre Therapie?
Jede unklare Lymphknotenschwellung, die länger als vier Wochen anhält oder Progredienz zeigt, sollte durch Biopsie und Histologie abgeklärt werden. Auffällig sind einkernige Hodgkin-Zellen und mehrkernige Sternberg-Reed-Riesenzellen. Verfahren der bildgebenden beziehungsweise serologischen Diagnostik schließen sich an. Schnell bestätigt sich die Verdachtsdiagnose, dass der Patient an einem Hodgkin-Lymphom leidet.
Gemäß S3-Leitlinie „Hodgkin-Lymphom, Diagnostik, Therapie und Nachsorge von erwachsenen Patienten“ entscheiden sich Ärzte primär für eine kombinierte Chemo- und Strahlentherapie. Zum Einsatz kommen bei frühen Stadien zwei Zyklen ABVD (Adriamycin, Bleomycin, Vinblastin und Dacarbacin). Intermediäre Stadien werden mit zwei Zyklen BEACOPP (Bleomycin, Etoposidphosphat, Adriamycin, Cyclophosphamid, Oncovin® (Vincristin), Predniso(lo)n, Procarbazin), zwei Zyklen ABVD und Radiotherapie behandelt. Patienten mit fortgeschrittenen Verlaufsformen erhalten sechs Zyklen BEACOPP eskaliert mit teils höheren Konzentrationen der Pharmaka. Abhängig vom Stadium überleben heute mehr als 90 Prozent ein Hodgkin-Lymphom – dank ausgefeilter Chemo- und Radiotherapien. Die Strahlung führt langfristig jedoch zu einem höheren Risiko sekundärer maligner Neoplasien. Dazu gehören Schilddrüsenkarzinome, Mammakarzinome und hämatopoetische Neoplasien.
Grund genug für John Radford von der University of Manchester, nach Entscheidungskriterien zu suchen, wann Onkologen auf eine Bestrahlung verzichten können. Er untersuchte 571 Patienten, die eine Chemo gemäß ABVD-Schema erhalten hatten, mit der Positronenemissionstomographie (PET). Bei 426 Personen fanden Ärzte keine Tumorzellen mehr. Ein Teil dieser Gruppe erhielt Bestrahlungen, beim Rest wurde darauf verzichtet. Nach drei Jahren betrug die Rate des progressionsfreien Überlebens unter Chemo 90,8 Prozent und unter Chemo plus Bestrahlung 94,6 Prozent – bei großer statistischer Unsicherheit. Ob Spätfolgen der Radiotherapie zu einem schlechteren Ergebnis führen, muss sich ebenfalls noch zeigen. Auch die German Hodgkin Study Group befasst sich mit dem Thema. Im Rahmen von HD16 und HD17 stehen Untersuchungen zur Therapieoptimierung an. Ob Personen mit geringem Risiko hinsichtlich eines Rezidivs auf Radiotherapien verzichten könnten, gilt als möglich.
Sprechen Patienten auf Chemo- und Strahlentherapie nicht an, sinkt ihre Gesamtüberlebensrate von etwa 90 auf unter 50 Prozent. Bleibt noch als Option, eine Hochdosis-Chemotherapie zu initiieren und anschließend autologe Stammzellen zu transplantieren. Kommt es erneut zum Rezidiv, setzen Onkologen Brentuximab ein. Dieser monoklonale Antikörper richtet sich gegen humane CD30-Antigene. An das therapeutische Protein haben Chemiker drei bis fünf Moleküle des Zytostatikums Monomethylauristatin E gehängt. Damit gelingt es, Effekte lokal auf Krebszellen zu beschränken. Brentuximab wurde zugelassen, sollten Hodgkin-Lymphome wieder auftreten. In dieser Phase erreichen Ärzte nur bei jedem dritten Patienten die komplette Remission. Grund genug, jetzt zu untersuchen, ob Brentuximab bei individuellen Risikofaktoren als Konsolidierungstherapie von Wert ist. Craig H. Moskowitz, New York, hat zusammen mit Kollegen 326 Patienten in eine Studie aufgenommen. Sein Einschlusskriterium waren hohe Rezidiv-Risiken nach erfolgreicher Stammzelltransplantation. Alle Teilnehmer erhielten entweder Brentuximab oder Placebo. Unter Verum verlängerte sich das mediane progressionsfreie Überleben statistisch signifikant von 24,1 auf 42,9 Monate. Als Nebenwirkungen traten vor allem Neuropathien und Neutropenien auf.
Zeigt Brentuximab nicht den erhofften Erfolg, haben Ärzte noch weitere Trümpfe. Untersuchungen konnten den Benefit von Nivolumab und Pembrolizumab belegen. Die beiden PD1-Inhibitoren schalten PD1 (Programmed cell death protein 1), ein Stoppsignal für unser Immunsystem, aus. Damit können T-Zellen ungebremst zur Tat schreiten. Craig H. Moskowitz, New York, verabreichte 29 Patienten, die erfolglos Brentuximab beziehungsweise Stammzelltherapien erhalten hatten, Pembrolizumab. Damit erzielte er bei sechs Personen eine komplette und bei weiteren dreizehn Personen zumindest eine partielle Remission. Die nächste Arbeit: Philippe Armand, Boston, nahm Nivolumab kritisch unter die Lupe. Er gab 23 austherapierten Patienten den PD1-Inhibitor. Bei vier Personen kam es zur Vollremission und bei weiteren 16 zur Teilremission. Mario Sznol und Dan L. Longo, New Haven, bewerten die Wirkstoffe in einem Editorial schon heute als Durchbruch – vielleicht sogar bei Frühstadien des Morbus Hodgkin. Allen Beteiligten warten aber erst einmal auf weitere Studien.