Corona macht dumm – diese Theorie geistert seit einiger Zeit durchs Internet. Das ist natürlich Quatsch. Neurologische Defekte in Verbindung mit COVID-19 wurden dennoch beobachtet. Wir machen den Studien-Check.
Schon im zweiten Lockdown sorgte eine britische Studie für Aufregung, die einen Zusammenhang zwischen COVID-19 und kognitiven Defiziten nahelegte. Fälschlicherweise entstand so die Theorie, Corona beeinträchtige den IQ. Zeit für einen Blick auf die aktuelle Datenlage.
In einem kürzlich erschienenen Preprint wurden Teilnehmer, die vor Ausbruch der Pandemie an einer Gehirnstudie teilgenommen hatten, zu einer Reihe von Folgetests eingeladen, nachdem sie eine schwere Infektion mit SARS-CoV-2 erlitten hatten. Die Auswertungen zeigten erhebliche Verluste an grauer Substanz rund um das olfaktorische und gustatorische System.
Die Studie umfasst dafür Daten der UK Biobank, bei der es sich um ein langfristiges Forschungs- und Datenzentrum handelt, das detaillierte genetische und gesundheitliche Informationen sammelt und zusammenstellt. Vor Ausbruch der Pandemie wurden Tausende von Personen multimodaler Bildgebungen des Gehirns unterzogen und lieferten somit vielversprechende Daten.
Die Autoren konnten 394 Personen untersuchen, die an einer früheren Studie der britischen Biobank teilgenommen hatten und sich in der Zwischenzeit mit COVID-19 infiziert hatten. Dabei stellten sie eine ähnliche große Kontrollgruppe zusammen, die nach Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit und Zeit zwischen den Scans, etwa 3 Jahre, übereinstimmte.
Dazu wurden drei Arten von strukturellen MRT-Scans verwendet: T1-Scans, die eine Beurteilung des Gehirnvolumens und der kortikalen Dicke ermöglichten, T2-Fluid-attenuated Inversion Recovery-Scans (FLAIR-Scans), die Entzündungen und Gewebsschäden erkennen können und suszeptibilitätsgewichtete MRT, die auf den Eisengehalt empfindlich reagieren. Zusätzlich wurden zur Beurteilung der funktionellen Konnektivität zwischen den Hirnregionen sowohl eine Ruhe- als auch ein Aufgabenfunktions-MRT durchgeführt. Dadurch wurden für jeden Teilnehmer bildgebende Phänotypen (IDP) generiert, die zu den Zeitpunkten miteinander verglichen werden konnten.
Acht signifikante unterschiedliche IDPs wurden unter den COVID-19-Probanden festgestellt, die sich zur Kontrollgruppe unterschieden. Dabei wiesen vier der IDPs Veränderungen in den primären oder sekundären kortikalen Geschmacks- und Geruchsbereichen in der linken Hemisphäre auf. Drei der IDPs befanden sich um den linken lateralen orbitofrontalen Kortex, wobei sich der letzte IDP in der linken oberen Insula befand. Jede dieser drei Regionen zeigte nach einer Infektion einen Verlust der grauen Substanz, der sich mit der Schwere der Erkrankung bei den 15 hospitalisierten COVID-19-Patienten verschlechterte. Bei diesen Patienten stellte man auch einen Verlust der grauen Substanz in Regionen fest, die mit dem Gedächtnis in der linken Hemisphäre und dem Temporallappen der rechten Hemisphäre assoziiert werden.
Eine weitere bildgebende Studie des Gehirns, die im renommierten Science Translational Medicine veröffentlicht wurde, wies ebenfalls Veränderungen bei einer Kohorte von 142 hospitalisierten COVID-19-Patienten auf. Dabei zeigten sich Hinweise auf makro- und mikrohämorrhagische Läsionen, multifokale Hyperintensitäten der weißen Substanz und Läsionen, die mit einer posterioren reversiblen Leukenzephalopathie übereinstimmen. Untersuchungen zum Neurofilament-Leichtketten-Serumspiegel (NFL), ein neuroaxonaler Verletzungsmarker, der das Ausmaß der neuronalen Schädigung vorhersagen kann, wurden ebenfalls durchgeführt.
Demnach hatten infizierte Patienten einen erhöhten NFL-Serumspiegel im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe. Auch Patienten, die keine offensichtlichen neurologischen Manifestationen aufwiesen, zeigten eine höhere NFL-Serumkonzentration. Die erhöhte Konzentration war zudem mit schlechteren klinischen Ergebnissen verbunden. Die Forscher meinen, dass Patienten mit COVID-19 eine neuroaxonale Verletzung erleiden und ein gesteigertes Risiko für langfristige neurologische Folgen haben können.
Laut den Autoren weisen die beobachteten Ergebnisse auffallende Ähnlichkeiten mit der Alzheimer-Krankheit oder anderen Demenzformen auf. Dies erwecke Bedenken, dass die langfristigen Folgen von COVID-19 diese Störungen umfassen könnten. Erkenntlich wird auf jeden Fall, dass eine SARS-CoV-2-Infektion neuronale Schäden verursachen kann. Wie die langfristigen Folgen tatsächlich aussehen, wird sich in den nächsten Jahren mit weiteren Studien zeigen. Die Ergebnisse der UK Biobank liefern auf jeden Fall gut vergleichbare Daten zu den Auswirkungen der Pandemie.
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