Eigentlich wissen wir es doch alle – das E-Rezept wird kommen. Was viele Kollegen in der Apotheke aber gerne verdrängen: Es ist schon in gut 6 Monaten so weit. Wer jetzt nicht informiert, wird Kunden verlieren.
Jeder im Gesundheitswesen weiß, dass es kommen wird, doch so richtig kann sich niemand vorstellen, dass es spätestens in einem halben Jahr tatsächlich so weit sein wird: Das Papierrezept wird vom E-Rezept abgelöst. Bei manchen Apotheken ist das sogar noch eher der Fall. Die E-Rezept-App wird bis einschließlich 30. Juni 2021 programmiert, damit am 1. Juli 2021 die heiße Testphase mit 120 Apotheken und 50 Ärzten in der Fokusregion Berlin-Brandenburg beginnen kann. Geht alles gut, dann wird das E-Rezept am 1. Januar 2022 bundesweit verpflichtend eingeführt. Das bedeutet: Man kann es sich nicht aussuchen. Jede Arztpraxis und jede Apotheke – egal wie technikaffin der Inhaber nun sein mag – muss sich bis dahin umgestellt haben, sonst geht gar nichts mehr.
Wie kann es aber sein, dass immer, wenn ich im privaten Bekannten- und Freundeskreis – in dem sich einige MFA, Mediziner, PKA, PTA und Apotheker befinden – abgewunken wird, sobald ich das Thema anschneide? „Ach komm. Das glaubst du doch selbst nicht, dass das klappt!“ Wie kommt es, dass ein Großteil der Bevölkerung noch immer, so kurz vor dem Start in eine neue Ära, davon gar nichts mitbekommen hat?
In ihrer Ansprache zum Tag der Apotheke am 07. Juni sprach Gabriele Overwiening, Präsidentin der ABDA, ganz offen über Zahlen. Eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage eines Meinungsforschungsinstituts unter 1.000 Deutschen belegte eindeutig: Trotz vielfacher Aufklärung weiß der Großteil der Bevölkerung quasi gar nichts über das E-Rezept und die bald verpflichtende Einführung.
Ich sprach darüber mit Florian Giermann, Client-Liaison-Manager bei NOVENTI Health SE, dem nationalen Marktführer im Gesundheitswesen für den Bereich Abrechnung von Apotheken und sonstigen Leistungserbringern. Er ist ein kompetenter Ansprechpartner zum Thema E-Rezept, der schon von Berufs wegen häufig die Ängste und Bedenken seiner Kunden zerstreuen muss (hier gehts zum Interview).
Giermann sieht das so: In anderen Bereichen des Alltags, wie beim Online Banking oder beim Buchen von Bahn- oder Flugtickets ist der Transfer von Papier auf digital schon längst erfolgt. Die Bevölkerung nimmt dies als selbstverständlich und gegeben, ja praktisch hin, es ist zum Alltag geworden. Es wird davon ausgegangen, dass im Bereich der Gesundheit alles genauso reibungslos funktionieren wird. Das E-Rezept ist für sie einfach nur eine digitale Umstellung wie viele andere auch. Zudem sind die dahinterstehende Technik und auch die Beweggründe, die zur Digitalisierung dieses Prozesses geführt haben, so abstrakt, dass einfach das Verständnis dafür fehlt. Wer in der Bevölkerung kann schon mit Begrifflichkeiten wie TI etwas anfangen?
Der Patient ist es einfach seit Jahrzehnten gewöhnt, dass er erst zum Arzt geht, um sich dann sein Papierrezept abzuholen und es danach in der Apotheke seiner Wahl einzulösen. Aus seiner Sicht gibt es hier eigentlich keine Optimierbarkeit durch das E-Rezept. Die Vorteile, die ein E-Rezept bringt, sehen vor allem die, die mit dem Abrechnungsprozess zu tun haben.
Die tatsächlichen Vorteile des E-Rezeptes gegenüber dem Papierrezept sind dem Großteil der Bevölkerung also schlichtweg nicht bekannt. Die bereits erwähnte Umfrage ergab, dass 69 Prozent der Befragten tatsächlich die Papiereinsparung als wichtigsten Vorteil des E-Rezepts sehen. Den praktischen Vorteil, nämlich dass sie beispielsweise bereits vor Abholung in der Apotheke vor Ort erfahren können, ob die Medikamente vorrätig sind, kennen sie vermutlich gar nicht. Auch den Vorteil, dass man nun nach einer Online-Sprechstunde das Rezept quasi per Knopfdruck geschickt bekommen und es danach einfach an eine Apotheke der Wahl senden kann, sehen viele nicht. Dabei ist das ein echter Vorteil für Berufstätige und Eltern, da Zeit und Wege gespart werden.
Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit durch die Apotheke vor Ort von Nöten. Die Frage, warum auf diesem Gebiet bisher bis auf einige Ausnahmefälle noch so wenig kam, kann ich selbst direkt und praxisnah beantworten: Weil wir seit einem halben Jahr damit beschäftigt sind, Masken zu besorgen und zu verteilen, Tests durchzuführen und nun auch noch digitale Impfnachweise zu erstellen. Dabei wäre genau das der Zeitpunkt, zu dem wir unsere Kompetenz zum Thema E-Rezept ausspielen können, durch die aktive Unterstützung der Menschen bei digitalen Prozessen im Gesundheitsbereich.
Die Apotheke vor Ort kann und muss ihre Kunden bei diesem Prozess begleiten, bevor sie der fälschlichen Annahme erliegen, dass E-Rezepte nur bei Online-Apotheken einlösbar sind. Wer also jetzt nicht den direkten Kontakt zu seinen Kunden sucht, so lange er mit dem Papierrezept noch den Weg zur Apotheke einschlägt, der wird sich im kommenden Jahr schwertun, ihn im Netz wieder mühsam von den eigenen Qualitäten zu überzeugen.
Also gilt nicht die Devise „abwarten und Tee trinken“, selbst wenn die Arztpraxis vor Ort noch immer ausschließlich per Fax kommuniziert und bereits das Thema E-Mail für sie ein Buch mit sieben Siegeln zu sein scheint. Auch diese wird sich umstellen müssen. Begleiten wir sie doch ebenfalls auf dem Weg in die digitale Zukunft.
Bildquelle: Tbel Abuseridze, unsplash