Jan ist seit 10 Jahren Psychotherapeut am Uniklinikum. Sein (achter!) Vertrag läuft bis Ende 2022. Er ist einer von vielen, die nichts anderes als Fristverträge kennen. Ärzten und Forschern reicht es jetzt.
Wieder nur ein 2-Jahres-Vertrag: Trotz jahrelanger Erfahrung gibt es Ärzte und Forscher, die in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen. Dahinter steckt das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das es seit 2007 gibt. Es besagt, dass Wissenschaftler maximal 12 Jahre in der Forschung bzw. 15 Jahre in der Medizin an einer staatlichen Hochschule oder Forschungseinrichtung befristet angestellt sein dürfen. Dass viele mit ihrer befristeten Anstellungsform unzufrieden sind, machte kürzlich eine Diskussion auf Social Media deutlich.
„Ich bin Christine, 34 Jahre alt. Ich bin Psychologin & Schlafforscherin. Von 8 Jahren im Berufsleben habe ich mich 6 Jahre selbst finanziert. Aktuelle Anstellung: bis 30.3.22“, schildert eine Forscherin ihre derzeitige Lage. „Ich bin Jan, Medizindidaktiker und Psychotherapeut, seit 10 Jahren am Uniklinikum und im 8. Vertrag, bis Ende 2022“, lautet ein weiterer Post.
„Ich habe gut 7 Jahre an einer Uniklinik als Assistenz- und Facharzt gearbeitet und mich in dieser Zeit durch 4 befristete Verträge gehangelt. Trotz abgeschlossener Facharztausbildung, Promotion und Zusatzbezeichnung bekam ich wieder nur einen 2-Jahresvertrag“, fasst ein Intensivmediziner seine Situation zusammen.
„Ich bin Christina, 26 Jahre alt und habe 1 Kind < 1 Jahr. Ich bin wiMi (19,5 h) in einem Forschungsprojekt in der Pflegewissenschaft. Ich interessiere mich für Interaktion in der Gemeindepsychiatrie. Meine Fakultät wurde stillgelegt und ich bin extrem unter Zeitdruck“, erzählt eine wissenschaftliche Mitarbeiterin.
Aufgrund der finanziellen Unsicherheit entscheiden sich manche auch gegen den Beruf im Forschungsbereich.
„Ich habe ca. 7 Jahre in der Grundlagenforschung gearbeitet, hunderttausende an Drittmitteln eingeworben und hochkarätige Publikationen (Nature, etc.) veröffentlicht“, berichtet etwa ein Toxikologe. „Die befristeten Verträge waren ein Grund, weswegen ich der Grundlagenforschung den Rücken gekehrt habe.“
All diese Posts wurden unter dem Hashtag #IchBinHanna gepostet, der ins Leben gerufen wurde, um auf die Situation der befristeten Verträge in der Medizin und Forschung hinzuweisen. „Die Neuauflage der Diskussion unter dem Hashtag „ichbinhanna“ geht zurück auf einen jetzt offenbar wiederentdeckten Erklärfilm auf der Homepage des BMBF von 2018, in dem der Sinn dieses Gesetzes anhand der Karriere einer Forscherin namens ‚Hanna‘ erklärt wird“, wie einem Bericht von Deutschlandfunk zu entnehmen ist.
Durch die hohe Beteiligung wurden nicht nur viele Medien auf die Aktion aufmerksam – unter anderem äußerte sich auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung zur Thematik. Vor allem jüngere Wissenschaftler würden das WissZeitVG kritisieren, weil durch eine Befristung die Planungssicherheit fehle. „Was dabei vergessen wird: Das Gesetz hat seinen Sinn“, heißt es in der Antwort des BMBF auf die Diskussion in den Sozialen Netzwerken.
Dabei wird betont, dass es sich bei der Befristung um eine Option und um keine Pflicht handelt: „Im Übrigen geht es in dem Gesetz ausdrücklich um die Möglichkeit einer Befristung, aber nicht um eine Befristungspflicht. Aus der bloßen Existenz dieses Befristungsrechts im WissZeitVG lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass Dauerstellen nicht gewollt sind. Im Gegenteil.“
Laut BMBF wäre das Abschaffen befristeter Verträge für Forscher kein Vorteil. „Eine Abschaffung des WissZeitVG würde sicher nicht zu mehr unbefristeten Stellen führen. Vielmehr wären wissenschaftliche Qualifizierungen nur noch für einen sehr kleinen Personenkreis möglich – es gäbe also weniger Qualifizierungs- und Karrieremöglichkeiten“, so die Erklärung.
„Woher kommt die Vorstellung, dass wissenschaftliche Mitarbeiter Stellen für den Nachwuchs ‚verstopfen‘?“ fragt Jens Südekum, ein Ökonomieprofessor, in diesem Zusammenhang. Um deutlich zu machen, wo seiner Ansicht nach das Hauptproblem liegt, holt er etwas aus – und gibt folgendes Beispiel: „Mein VWL-Studium begann im WS 1996/97 an der Uni Göttingen. Damals gab es noch recht viele Dauerstellen im Mittelbau, die den Professuren zugeordnet waren. Schnell geriet ich an akademische (Ober-) Räte Anfang 50, eingestellt in der 70er Bildungsexpansion, mit null Bock auf Lehre und entsprechendem Forschungsoutput. Unmotivierte Beamte, die nur noch auf die Pension warten. Dienst nach Vorschrift. Vorlesung seit 20 Jahren unverändert.“
Schnell habe sich damals die Frage aufgedrängt: Warum unterrichten solche Leute an den Unis? „Wir Studis hätten lieber cutting-edge Typen Ende 20 oder Anfang 30 gehabt, die für ihr Fach brennen. Aber die gab's nicht. Und das sprach sich rum.“ Die Folge: „Etwa ab dem Jahr 2000 hat die Politik dann gehandelt. Sie hat die entsprechenden Personalnummern mit einem sog. ‚KW-Vermerk‘ markiert. ‚KW‘ steht für ‚kann wegfallen‘. Sprich: sobald der- oder diejenige in Pension geht, wird die Dauerstelle im Mittelbau nicht wiederbesetzt.“
Aus Liebe zur Wissenschaft habe die Politik so natürlich nicht gehandelt, wie Südekum betont: „Das Motiv war ein anderes: sie wollte sparen. Denn Deutschland war wirtschaftlich damals der kranke Mann Europas. Fakt ist: Revolvierende junge wissenschaftliche Angestellte nach Besoldungsgruppe T-VL 13 (Stufe 1–3) sind deutlich günstiger als wissenschaftliche Beamte A13–A15 mit stetig steigender Dienstaltersstufe. Also scheinbar eine Win-Win-Situation: Steuerzahler happy, Studierende (wie ich) happy. Tja, und das war dann das Ende der Dauerstellen im wissenschaftlichen Mittelbau.“ Was laut dem Professor einst mit einem durchaus sinnvollen Gedanken begonnen hatte – „weniger Verkrustung, mehr Wechsel im akademischen Betrieb“ – entwickelte sich in eine bedenkliche Richtung.
Die Frage ist, wie es nun weitergehen soll. „Meines Erachtens ist das angelsächsische Uni-Prinzip an dieser Stelle einfach besser“, erklärt der Professor. „Nach der Promotion klare TT-Perspektiven (Tenure Track) schaffen, sei es zunächst bloß mit Perspektive auf dauerhaftes T-VL 13/14. Die Betonung liegt auf dauerhafte Perspektive.“ Dabei wünscht sich Südekum klare Karriereperspektiven für diejenigen, die nachweislich gute Arbeit leisten sowie eine „Qualitätsabsicherung nach unten, die verhindert, dass diejenigen, die nach Erhalt der Dauerstelle den Griffel fallen lassen, wie in den 1990ern die Stellen ‚verstopfen‘.“
Doch mindestens einen Haken hat sein Vorschlag schon mal: das Geld, das eine solche Reform des Uni-Systems kosten würde. Höhere Personalkosten in Wissenschaft und Forschung wären die logische Folge.
Bildquelle: Christin Hume, unsplash