Desinfektion, Händewaschen und Kontaktbeschränkungen – so soll eine Infektion mit SARS-CoV-2 verhindert werden. Forscher warnen: Das kann Auswirkungen auf unsere mikrobiellen Freunde haben.
Durch die COVID-19-Pandemie wird übermäßig auf Hygiene geachtet. Desinfizieren, social distancing und verstärkte Reinigung finden nicht nur flächendeckend, sondern auch im privaten Raum statt. Die Pandemie könnte damit das menschliche Mikrobiom beeinträchtigen und langfristig erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Denn nicht nur SARS-CoV-2 wird durch diese Maßnahmen eingedämmt, auch andere Erreger und vor allem für unseren Organismus günstige Mikroben bleiben dadurch fern. Hinzu kommt noch der anhaltende Verlust der Darm-Mikrobiota in den letzten Jahrzehnten in einem großen Teil der Bevölkerung. Eine kürzlich veröffentlichte Publikation geht dieser Problematik genauer nach.
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es nur wenige direkte Hinweise auf Wechselwirkungen zwischen dem menschlichen Mikrobiom und einer SARS-CoV-2-Infektion. Erkennbar sei jedoch, dass der Prozess des Verlusts der mikrobiellen Vielfalt auf dem ganzen Planeten ungleichmäßig stattfindet. Das liegt einerseits am Zugang zu Seife, Wasser und zu sanitären Einrichtung sowie der übermäßigen Verwendung von Antibiotika in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen. Hinzu kommen die intensivierten Hygienekonzepte im öffentlichen und privaten Raum. Die Autoren betonen, dass „die COVID-19-Pandemie das Potenzial hat, das menschliche Mikrobiom bei infizierten und nicht infizierten Individuen zu beeinflussen und sich langfristig stark auf die menschliche Gesundheit auszuwirken.“
Laut der Autoren sei es natürlich das oberste Ziel, die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu verringern. Das könne jedoch langfristige Folgen haben, wenn die Maßnahmen gesundheitsfördernde Mikroben ebenfalls ausbremsen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das Darmmikrobiom im letzten Jahrhundert in vielen Teilen der Bevölkerung im Zuge eines modernen, globalisierten Lebensstils sowieso stark verändert habe und ein Rückgang in der Diversität zu beobachten sei. Der Einfluss hingegen beschränkt sich nicht nur auf den Verdauungstrakt, sondern auch auf essenzielle Prozesse im Körper. Dabei spiele auch die Darm-Hirn-Achse eine wichtige Rolle, wodurch Auswirkungen bis hin zu neurologischen Prozessen beobachtet werden konnten.
„Unser Immunsystem kann sich nur in der ständigen Interaktion mit Mikroben normal entwickeln und verhalten“, äußerte sich Thomas Bosch, Co-Autor und Professor an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Dabei befürchten die Forscher weitreichendere gesundheitliche Konsequenzen wie die Zunahme sogenannter Umwelterkrankungen wie Diabetes, Adipositas oder chronische Entzündungen. Diese und viele andere Krankheiten beruhen unter anderem auf einem Verlust der mikrobiellen Vielfalt im menschlichen Organismus.
Dennoch wird darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig ein Gleichgewicht zwischen Infektionsschutz und langfristigen Gesundheitsrisiken sei. Dabei lohne es sich, zu überlegen, wie man physische Distanzierungs- und Hygienepraktiken einsetzt, um die Übertragung von COVID-19 zu verhindern, aber auch die Vielfalt des Mikrobioms zu erhalten und zu schützen.
Denn ein gestörtes Mikrobiom stehe laut den Ergebnissen möglicherweise im Zusammenhang mit schweren oder tödlichen COVID-19-Verläufen. Dabei empfehle sich in der Pandemiebekämpfung auch, ein gesundes Mikrobiom zu berücksichtigen und den Kontakt mit gesundheitsförderlichen Mikroorganismen so weit wie möglich zuzulassen. Dabei könnten diese Maßnahmen unter anderem mit dem Offenhalten von Stadtparks bei gleichzeitiger Gewährleistung der physischen Distanzierung verbunden sein. Im privaten Raum könnte es sich auf den Aufenthalt in der naturnahen Umgebung, ballaststoffreiche Ernährung, Förderung des körperlichen Kontakts zwischen unter Quarantäne gestellten Familienmitgliedern und Vermeidung unnötiger Antibiotika beschränken. Weiteres müsse jedoch durch zukünftige Forschungen im Detail geklärt werden.
„Um es ganz deutlich zu sagen: Es muss das derzeit oberste Ziel sein, die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu bremsen und möglichst weitgehend zu verhindern – und dazu sind Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen unausweichlich“, betont Bosch. Aber: „Der in der Pandemie nun erforderliche Infektionsschutz überschneidet sich daher aktuell dramatisch mit dem seit Jahrzehnten voranschreitenden Verlust an mikrobieller Vielfalt. Diesem Trend gilt es, auch in Zeiten der Pandemie entgegenzuwirken, um so einen drastischen Zuwachs an Umwelterkrankungen in naher Zukunft zu verhindern“, so Bosch.
Eine grundlegende Frage kristallisiert sich dabei heraus: Welche mikrobiellen Funktionen könnten durch die Präventionsbemühungen rund um COVID-19 verloren gehen? Eine genaue Antwort auf diese Frage wird jedoch nicht geliefert, da die aktuelle Studienlage noch nicht weitreichend genug ist. Klare Trends werden jedoch ersichtlich und weisen auf die Bedeutung der Forschung hin, die Wechselwirkungen eines hochansteckenden Erregers mit dem menschlichen Mikrobiom und seiner Wirkung als zentralem Regulator der Gesundheit zu studieren.
Die aktuell gewonnen Kenntnisse können künftig dabei helfen, den Verlauf der Corona-Krise besser einzuschätzen. Die gewonnen Daten seien auch für zukünftige globale Pandemien von großer Bedeutung und könnten dabei helfen, langfristige Schäden nach einer solchen Situation durch kontrollierte und vorausschauende Maßnahmen zu mindern, so die Autoren.
Bildquelle: Elena Rabkina, Unsplash