Spahns Reaktion auf Betrügereien in Testzentren? Die Vergütung runtersetzen. Die Ehrlichen sind hier die Dummen – inklusive der Apotheken. So erlebe ich die Lage derzeit.
Corona-Testzentren stehen mal wieder im Fokus der Aufmerksamkeit. Den Menschen, die dort arbeiten, wird durch Politik und Bevölkerung gleichzeitig sowohl Dankbarkeit, als auch seit ein paar Tagen eine gewisse Skepsis entgegengebracht. Ist derjenige, der mir gerade in der Nase bohrt, vielleicht ein Betrüger? Wie viele Tests rechnet er wohl gerade ab, während ich nur einmal in der Woche herkomme? Das sind Fragen, die wir tatsächlich – wenn auch nur scherzhaft bisher – zu hören bekommen. Die Situation, in der wir uns nun befinden, ist seitens der Politik allerdings absolut hausgemacht, denn die laschen Abrechnungsregeln sind eigentlich nur eines: eine Einladung zum massiven Betrug.
Als im März besonders schnell und unbürokratisch Testmöglichkeiten für einen Großteil der Bevölkerung entstehen mussten, hat man es sich im Gesundheitsministerium mit der Aufstellung entsprechender Regeln offenbar ein bisschen zu einfach gemacht. Lediglich die Anzahl der Testungen muss aufgeschlüsselt nach Kontaktpersonen, Ausbrüchen und präventiven Testungen sowie der Art der Einrichtungen weitergegeben werden – aufgrund des Datenschutzes werden die personenbezogenen Daten bei der Abrechnung nicht übermittelt. Es fehlte bislang an den einfachsten Kontrollmechanismen, denn es findet üblicherweise noch nicht einmal ein Abgleich zwischen eingekauften Tests und durchgeführten Testungen statt.
Gesundheitsminister Spahn verteidigte dieses offensichtliche Manko damit, dass Berlin solche Kontrollen einfach nicht leisten könne, das sei Ländersache. Doch auch Kommunen, Gesundheitsämter oder die Kassenärztlichen Vereinigungen winken angesichts der drohenden Kontrollaufgaben ab. Landkreistag-Präsident Reinhard Sager machte gegenüber Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) deutlich: „Die Gesundheitsämter sind keine Buchprüfer.“ Dass es wochenlang überhaupt keine nennenswerten Kontrollen gab, fällt nun der Allgemeinheit auf die Füße. Alleine im April und Mai musste der Bund 660 Millionen Euro für die Corona-Testungen der Bevölkerung bezahlen – wer weiß, wie viel Geld dabei unrechtmäßig verteilt wurde.
Reflexartig passiert nun, was wir genau so aus der Aktion mit Masken-Coupons aus dem Frühjahr kennen. Spahn senkt die Preise für Testungen – möglicherweise sogar rückwirkend, wir werden es in der kommenden Woche erleben. Ein Test wird dann nur noch mit 8 statt mit 12 Euro vergütet. Doch ist das eine sinnvolle Maßnahme, um die Betrügereien zu stoppen? Hier werden doch vor allem wieder diejenigen bestraft, die ordentlich und ehrlich gearbeitet haben. Die Betrüger lachen sich ins Fäustchen und rechnen einfach nochmal mehr Tests ab, die gar nicht durchgeführt wurden.
Es war ein Fehler, einfach allen Menschen, die weder einen ärztlichen noch einen pharmazeutischen beruflichen Hintergrund hatten, nach einem Online-Kurs, bei dem die Abstrichentnahme gezeigt wurde, zu erlauben, ihr eigenes Testzentrum zu eröffnen. Es erfolgte in den meisten Fällen nicht einmal eine Kontrolle der Teststation selbst durch ein offizielles Organ, wie beispielsweise dem Gesundheits- oder dem Ordnungsamt. Menschen, die an unsere Teststation kommen, zeigen sich häufig verwundert darüber, wie gründlich und lange wir beide Nasenlöcher abstreichen und dass sie auf das Testergebnis etwa 20 Minuten lang warten müssen. Eine Dame erzählte uns, dass sie im Testzentrum vor einem Drogeriemarkt das Abstrichstäbchen gerade mal ein bis zwei Sekunden lang in einem Nasenloch fühlte, bevor sie nach weniger als drei Minuten ihr negatives Testzertifikat in den Händen hielt.
Da sie das als unhaltbaren Zustand empfand, wollte sie darauf aufmerksam machen und meldete sich bei der Gemeindeverwaltung am Ort. Die erklärte sich als nicht zuständig, erzählte sie uns, und so rief sie beim Gesundheitsamt an, das ihr mitteilte, es könne ja nun nicht jede Station kontrollieren. Dagegen vorgehen könnten sie ebenfalls nicht, solche Zustände müssten hingenommen werden. Glücklicherweise kann die Stadt Münster hier durchaus anders reagieren. Der Fall MediCan, der den Betrug mit unrechtmäßig abgerechneten Tests öffentlich machte, wurde mit einem Entzug der Beauftragung als Testzentrum quittiert.
Die Hoffnung aller redlich arbeitenden Testzentren und geprellten Steuerzahler soll nun laut Spahn auf den Schultern des Finanzamtes ruhen, das eingekaufte Testkits mit den abgerechneten Tests vergleichen soll. Doch das kann Jahre dauern, denn die Steuererklärung müsste abgewartet werden und die Verantwortlichen werden sich selbst und die unrechtmäßig eingestrichenen Gelder inzwischen in Sicherheit bringen. Das ist für alle Beteiligten unbefriedigend. Reiner Holznagel, Präsident des Bunds der Steuerzahler, forderte gegenüber dem Handelsblatt: „Bund und Länder müssen nun für rasche Korrekturen sorgen und klar festlegen, wer für Kontrollen bei den Testzentren verantwortlich ist. Zur Überarbeitung der Verordnung gehört auch, die Zulassung von Testzentren stärker an qualitative Kriterien zu binden, damit sich nicht jedermann als Testzentrum deklarieren kann.“ Der Gesundheitsminister solle zudem klar aussagen, dass der Bund nur dann zahlt, wenn die Kontrollen vor Ort sichergestellt seien.
Was bleibt am Ende? Apotheken fühlen sich wieder einmal um fest zugesagte Gelder geprellt, denn der Leitspruch Pacta Sunt Servanda gilt in Spahns Ära als Gesundheitsminister überhaupt nichts mehr. Viele qualitativ und finanziell korrekt arbeitenden Teststationen werden aufgrund der gesenkten Abrechnungskosten für die Schnelltests schließen müssen. Viele Minijobber werden nun ihren Job verlieren, weil die Testzentren sich nicht mehr rechnen. Glücklicherweise gehen auch die Inzidenzzahlen deutlich zurück, sonst wäre das eine noch größere Katastrophe. „Der Ehrliche ist der Dumme“, sagte schon Ullrich Wickert.
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