Sollten alle Kinder gegen COVID-19 geimpft werden? Während die STIKO skeptisch bleibt, möchte Spahn loslegen. Und mittendrin: Verunsicherte Eltern und Ärzte. Das sagen Experten.
Zwar ist die Impfung für Kinder und Jugendliche seit dem 07. Juni 2021 mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer grundsätzlich möglich. Das Thema sorgt aber weiter für Streit zwischen Politikern und Medizinern. Und nicht nur Eltern sind verunsichert – auch Ärzte stehen vor einer schwierigen Aufgabe: Sie müssen gemeinsam mit Eltern und Kindern individuell entscheiden, ob geimpft werden soll. Was sagen Experten dazu?
Seitens der Ständigen Impfkommission (STIKO) wird es keine generelle Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige geben. Heute hat die Kommission entschieden, den mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer aktuell nur für Kinder und Jugendliche mit Vorerkrankungen zu empfehlen, die mit einem erhöhten Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf einhergehen. Das ging bereits aus einem internen Beschlussentwurf hervor, der am Dienstag (08. Juni 2021) publik wurde und der Deutschen Presse-Agentur vorlag.
Die STIKO plädiert für die Impfung, wenn Kinder und Jugendliche an bestimmtem Krankheiten wie etwa Adipositas, schwerer Herzinsuffizienz, malignen Tumoren oder Trisomie 21 leiden. In diese Gruppe fallen etwa 10 % der 12- bis 17-Jährigen in Deutschland, wie das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) bei Twitter mitteilt.
Außerdem wird die Impfung auch dann für Kinder empfohlen, wenn sie in engem Kontakt mit Menschen leben, die besonders gefährdet sind, schwer an COVID-19 zu erkranken und/oder selbst nicht geimpft werden können.
Überraschend sind die Beschlüsse in dem Enwurf nicht. STIKO-Chef Thomas Mertens machte bereits im Vorfeld klar: Die vorhandenen Studienergebnisse reichen nicht für eine generelle Impfung aller gesunden Kinder aus. Bislang wurde die Impfung nur bei etwas mehr als 2.000 Kindern untersucht. Die Zahl der Probanden sei zu gering, um eine seriöse Aussage über mögliche seltene Nebenwirkungen in dieser Altersgruppe zu machen, wie er im Corona-Podcast des NDR sagt.
Was ist mit gesunden Kindern?
Trotz der fehlenden Empfehlung der STIKO ist die Impfung auch für gesunde Kinder und Jugendliche möglich. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach sich bereits im Vorfeld dafür aus, Kinder und Jugendliche auch dann in die Impfkampagne einzubeziehen, wenn die STIKO bremst. Die Gesundheitsministerien der Länder haben bereits beschlossen, dass bis Ende August allen Kindern ab zwölf Jahren ein Impfangebot gemacht werden soll. Die individuelle Entscheidung bleibt aber bei den Eltern gemeinsam mit ihren Kindern und den zuständigen Ärzten.
Aber woran sollen sich Kinderärzte orientieren: An der Zulassung der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) oder an der Empfehlung der STIKO? Virologin Melanie Brinkmann sieht hier kein drängendes Problem: „Im Grunde stellt sich die Frage wegen des knappen Impfstoffs noch nicht. Und in einigen Wochen wird die Datenlage deutlich besser sein“, sagt sie zur Rheinischen Post.
Auch der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) fordert mehr Geduld: Vorschnelle Erwartungen, dass schon bald alle Kinder geimpft sein könnten, seien mit großer Vorsicht zu betrachten, heißt es auf Twitter. Auch mit dem Ende der streng festgelegten Priorisierung sind Biontech-Impfdosen noch rar. Wegen des knappen Impfstoffes könnten zunächst kaum Kinder geimpft werden. Speziell für Kinder reservierte Dosen wird es nicht geben.
Viele Mediziner sehen aktuell auch keinen Grund, gesunde Kinder generell gegen COVID-19 zu impfen. „Für den Jugendlichen müssen wir in der gegenwärtigen Situation in Deutschland sagen, dass das Risiko durch das SARS-COV2-Virus schwer zu erkranken so gering ist, dass die Impfung keinen Vorteil bietet“, sagt Kinder- und Jugendmediziner Prof. David Martin im Interview mit unserer Redaktion.
Auch dürfe der Beitrag dieser Altersklasse zur Herdenimmunität laut Martin nicht überschätzt werden: „Deren Beitrag […] ist unter den jetzigen Bedingungen so klein, dass das sehr wenig ausmachen wird in Bezug auf die Zahl an schweren und tödlichen COVID-19-Erkrankungen in Deutschland.”
Pläne zu eigenen Impfkampagnen für Kinder oder mobilen Impf-Teams an Schulen wurden zunächst zurückgestellt. In vielen Bundesländern wird in den Impfzentren –wie auch in vielen Hausarztpraxen– weiter nach Priorisierung geimpft, bis genügend Impfstoff vorhanden sind.
Aussichten auf mehr Impfdosen gibt es zumindest: Jetzt hat auch der US-Pharmakonzern Moderna die bedingte EU-Marktzulassung für sein COVID-19-Vakzin für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren beantragt. Bisher ist er für Erwachsene ab 18 Jahren zugelassen.In der Phase-2/3-Studie, die der Zulassung zu Grunde liegt, habe die Wirksamkeit des mRNA-Impfstoffs bei 100 Prozent gelegen. Das Vakzin werde „im Allgemeinen gut vertragen“, teilt das Unternehmen mit.
Aber auch Biontech/Pfizer treibt die Entwicklung seines COVID-19-Vakzins zum Einsatz bei Kindern unter zwölf Jahren voran. Am Dienstag (08. Juni 2021) startete die entscheidende klinische Studie der Phase 2/3 mit Kindern zwischen fünf und elf Jahren, twitterte das Unternehmen.
In einer früheren Phase der Studie bekam bereits eine kleine Anzahl von Minderjährigen verschiedene Dosierungen des Impfstoffs. Jetzt sollen insgesamt rund 4500 Kindern zwischen sechs Monaten und elf Jahren in den USA, Finnland, Polen und Spanien sollen daran teilnehmen.
Untersucht wird nun, wie effektiv niedrigere Dosierungen des mRNA-Impfstoffs schützen: Kinder zwischen fünf und elf Jahren sollen eine Dosis von 10 Mikrogramm bekommen. Das entspricht einem Drittel der Dosis, die Jugendliche und Erwachsene erhalten. In der Altersgruppe von 6 Monaten bis 5 Jahren wurden 3 Mikrogramm gewählt. Noch in diesem Jahr könnte damit ein Impfstoff für jüngere Kinder kommen: Pfizer erwartet, die US-Zulassung für Fünf- bis Elfjährige bis zum Oktober zu erhalten.
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