Das erste Alzheimer-Medikament seit 18 Jahren erhält jetzt eine FDA-Zulassung. Warum Aducanumab ein Meilenstein ist und es dennoch Kritik am Vorgehen der FDA gibt, lest ihr hier.
Am 7. Juni 2021 hat die U.S. Food and Drug Administration (FDA) die Zulassung für den monoklonalen Anti-Amyloid-Antikörper Aducanumab bekannt gegeben. Die Vorgeschichte beginnt im Jahr 2019 (DocCheck berichtete). Zu diesem Zeitpunkt hatte Hersteller Biogen verlautbart, auf Basis einer aktualisierten Datenanalyse im Jahr 2020 die Zulassung für Aducanumab bei der FDA beantragen zu wollen und setzte das entsprechend um.
Am 6. November 2020 gab es dann einen ernsten Dämpfer auf dem Weg der Zulassung für Aducanumab. Ein von der FDA zu Rate gezogenes Beratungs-Komitee sprach sich mit 8 Nein-Stimmen, 1 Ja-Stimme und 2 Stimmen, die mit „unsicher“ votierten, klar gegen eine Zulassung von Aducanumab aus.
Ein wesentliches Argument bestand darin, dass angesichts von bisher 25 negativen Studien, die „Amyloid-Kaskaden-Hypothese“ betreffend, das diskrepante Ergebnis der beiden Phase-III-Studien EMERGE (primärerer Endpunkt wird erreicht) und ENGAGE (primärer Endpunkt wird nicht erreicht) in erster Linie als Typ-1-Fehler zu sehen ist. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Argumente erschien im März 2021 in JAMA.
Am 10. Mai 2021 folgte in Alzheimer's Research & Therapy ein Plädoyer für eine Zulassung von Aducanumab auf Basis identischer Daten. Als wesentliches Argument zur Entkräftung des Typ-1-Fehler-Einwandes wurde angeführt, dass die Studien, die in der Vergangenheit mit Medikamenten durchgeführt wurden, die in die Amyloid-Kaskade eingreifen, u. a. bei den monoklonalen Antikörpern viel geringere Dosen eingesetzt und z. B. Patienten erst zu einem späteren Krankheitszeitpunkt eingeschlossen hätten als in den aktuellen Studien.
Die FDA hat in ihrer am 7. Juni veröffentlichten Stellungnahme die vehement geführte Debatte sehr wohl zur Kenntnis genommen. Sie hat bei ihrer Entscheidung auf die Möglichkeit des sogenannten beschleunigten Zulassungsverfahrens zurückgegriffen (Accelerated Approval), eine Option, die vom Beratungskomitee im November 2020 offensichtlich nicht in Erwägung gezogen wurde.
Das genannte Verfahren kann im Fall von Substanzen, die die realistische Möglichkeit eröffnen, ernste bisher nicht adäquat behandelbare Krankheiten zu therapieren, zur beschleunigten Zulassung herangezogen werden. Und zwar dann, wenn sogenannte Ersatz-Endpunkte („surrogate endpoints“) – im Falll von Aducanumab, die in allen bisherige Studien gezeigte Reduktion von Amyloid-Plaques – in Verbindung mit weiteren Daten mit ausreichender Wahrscheinlichkeit einen klinischen Nutzen erwarten lassen.
Im Fall von Aducanumab ist das die Stabilisierung bzw. Verbesserung von Kognition und Alltagsfähigkeiten. Nach einer so erfolgten Zulassung muss in Phase-IV-Studien der hypothetisierte klinische Nutzen bestätigt werden. Eine genaue Spezifizierung der Auflagen für Biogen durch die FDA bleibt abzuwarten. Die FDA hat jedoch klare Regularien, dass eine Substanz, deren klinischer Nutzen auf dem Weg über eine Phase-IV-Studie nicht bestätigt wird, wieder vom Markt genommen wird.
Unabhängig davon gibt es verschiedene kritische Stimmen, die zum einen bemängeln, dass die Entscheidung der FDA unter erheblichem politischen Druck zustande gekommen sei – so habe beispielsweise die einflussreiche US-amerikanische Alzheimer Association sehr offensiv für eine Zulassung plädiert. Auch habe es im Rahmen der Zulassung eine zu enge Zusammenarbeit zwischen Biogen und der FDA gegeben, was andere als normalen, unter explizierten Regeln erfolgten Prozess ansehen. Ein Problem stellen auch die mit ca. 50.000 Dollar sehr hohen Jahres-Therapiekosten dar – und das bei einer Indikation, bei der es sich nicht um eine Nischen-, sondern um eine Massenindikation handelt.
Trotzdem: Die jetzt erfolgte Zulassung von Aducanumab ist ein Meilenstein in der Behandlung der Alzheimer-Erkrankung. Es ist die erste Neuzulassung eines Alzheimer-Medikaments seit 18 Jahren und es ist überhaupt das erste Medikament, das direkt in die pathophysiologischen Prozesse eingreift, die der Alzheimer-Erkrankung zugrunde liegen.
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