Was wie Science-Fiction klingt, ist in Bochum schon Realität: Ärzte setzen bei der Reha innovative Exoskelette ein – und verbessern die Mobilität ihrer Patienten signifikant. Momentan sind Menschen mit Wirbelsäulenverletzungen im Fokus, aber die Ideen für ihre Tools gehen längst weiter.
Technik für Menschen: HAL® (Hybrid Assistive Limb), ein Exoskelett-System, geht ursprünglich auf Professor Dr. Yoshiyuki Sankai, Forscher an der japanischen Tsukuba-Universität, zurück. Sein Ziel ist, Patienten mit Bewegungseinschränkungen oder Lähmungen Teile ihrer Mobilität zurückzugeben. Sankai setzt das Exoskelett bei Querschnittslähmungen oder nach Schlaganfällen ein. Und das funktioniert folgendermaßen: An der Hautoberfläche werden über Sensoren niederschwellige Biosignale abgeleitet, die eigentlich das muskuloskelettale System in Bewegung versetzen. Das Exoskelett registriert und interpretiert diese Ströme. Per Computer werden Elektromotoren an den Gliedmaßen von Patienten gesteuert. Das System hat sowohl ein „willkürliches“ als auch ein „autonomes“ Kontrollsystem.
Inwieweit HAL® Patienten bei der Reha unterstützt, haben Dr. Mirko Aach und Oliver Cruciger vom Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum untersucht. Sie wollten wissen, ob die Hightech-Ertüchtigung zu einer gesteigerten Mobilität führt, den Muskelaufbau voranbringt und das Aktivitätsniveau im Nervensystem erhöht. Acht Patienten mit Rückenmarksverletzungen wurden in eine Pilotstudie [Paywall] aufgenommen. Jeweils vor und 90 Tage nach dem Training mit dem Exoskelett-System bestimmten Ärzte verschiedene Parameter rund um die Mobilität, die Muskelkraft – und fanden signifikante Verbesserungen bei sensomotorischen Funktionen. Jetzt berichten Aach und Cruciger von neuen Details [Paywall]. Ihr Patient war ein 34-jähriger Mann ohne Vorerkrankungen. Durch einen Arbeitsunfall hatte er unter anderem schwere Verletzungen der mittleren Brustwirbelsäule erlitten. Die Folge: eine Querschnittlähmung mit geringer Restfunktion in puncto Bewegung und Berührungsempfinden. Zu Beginn versorgten Chirurgen die Verletzung inklusive weiterer Knochenbrüche. Nach einer Heilungsphase von 77 Tagen ging es weiter zum HAL®-Training – zwölf Wochen lang. Aach und Cruciger zufolge verbesserte sich die Muskelfunktion dabei deutlich. Mittlerweile benötigt der Patient nur noch zwei Unterarmstützen, um sich fortzubewegen. Exoskelette sind bei der Reha die seltene Ausnahme – und werden vielleicht schon bald an Bedeutung gewinnen. Kostenträger zeigen Interesse. Ende 2014 erhielten Dr. Mirko Aach und Oliver Cruciger den mit 10.000 Euro dotierten Herbert-Lauterbach-Preis des Klinikverbundes der gesetzlichen Unfallversicherung.
Professor Dr. Thomas A. Schildhauer, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik und Leiter der Forschergruppe, plant jetzt, klinische Untersuchungen weiter auszudehnen. Sein Ziel ist, Patienten nach einem Schlaganfall oder mit neuromuskulären Erkrankungen in Forschungsprogramme aufzunehmen. Damit nicht genug: Das Exoskelett bewährt sich einer weiteren Studie zufolge [Paywall] auch bei chronischen neuropathischen Schmerzen, die häufig als Folge von Rückenmarksverletzungen auftreten. Momentan setzen Ärzte neben Pharmakotherapien auf spezielle Laufband-Trainings (Body Weight Support Treadmill Training) und auf angetriebene Gangorthesen. Mirko Aach und Oliver Cruciger berichten von zwei Patienten mit therapieresistenten neuropathischen Schmerzen. Nach zwölf Wochen HAL®-unterstütztem Training verbesserte sich ihre Lebensqualität, und die Schmerzintensität ging zurück, jeweils anhand geeigneter Scores gemessen. Alle Ergebnisse legen nahe, dass Exoskelette auch in diesem Bereich zum Einsatz kommen könnten. Jetzt ist es an der Zeit, neue Studien mit größeren Patientenzahlen zu initiieren.
Ärzte und Ingenieure setzen nicht nur bei der Reha auf innovative Tools. Professor Hiroshi Kobayashi von der Tokyo University of Science (TUS) präsentierte kürzlich in Regensburg ein Exoskelett der besonderen Art. Im Rahmen des Projekts „Muscle Suit Robot Interaction“ (MuRI) untersuchen japanische und deutsche Forscher, wie Mensch und Maschine miteinander interagieren, um die Muskelkraft zu verstärken. Benjamin Großmann vom Robotik-Labor der Hochschule Regensburg hat weitere Pläne. Er will Exoskelette für Teleoperationen einsetzen. Ein Anwender trägt das Eingabesystem mit Force Feedback, sprich Kraftrückkopplung, am Körper und führt Bewegungen aus. Das via Regelungsverfahren angeschlossene Robotersystem verstärkt entsprechende Signale. Menschliche Feinfühligkeit und technische Kraft – diese beiden Größen lassen sich vielleicht schon bald für industrielle Anwendungen kombinieren. Kein Thema des Projekts, aber im Bereich des Möglichen: Ärzte hoffen auf leichte, von Patienten mit Vorerkrankung dauerhaft zu tragende Tools, um die Mobilität zu verbessern. Noch haben Exoskelette ihr Potenzial nicht ausgeschöpft.