Das Plexin-A1-Gen spielt in der Entwicklung des menschlichen Hirns offenbar eine größere Rolle, als bisher bekannt war. Und: Seine Mutationen werden sowohl dominant als auch rezessiv vererbt.
Das sogenannte Plexin-A1-Gen scheint bei der Gehirnentwicklung eine größere Rolle zu spielen als bislang angenommen. Das zeigt eine aktuelle Studie. Die Erbanlage ist auch aus einem anderen Grund interessant: Menschliche Gene vererben sich entweder dominant oder rezessiv. Bei den in der Studie untersuchten Mutationen ist der Fall dagegen nicht so klar. Manche von ihnen sind dominant, andere sind dagegen rezessiv. „Diese Beobachtung hat man zwar auch schon vereinzelt bei anderen Genen gemacht, sie kam aber dennoch unerwartet“, erklärt Dr. Gabriel Dworschak, Kinderarzt der Universität Bonn.
Die Erbanlage war in den Fokus der Wissenschaftler geraten, als sie am Universitätsklinikum Bonn ein Mädchen mit gravierenden Fehlbildungen der Speiseröhre, des Gehirns und der Augen untersucht hatten. Bei einer genetischen Analyse entdeckten sie, dass bei ihr das Plexin-A1-Gen gegenüber Gesunden verändert war. „In einer Datenbank haben wir dann nach weiteren Betroffenen mit Mutationen im Plexingen gefahndet“, erläutert Prof. Heiko Reutter, Arzt und Mitarbeiter am Institut für Humangenetik.
Inzwischen haben die Forschenden auf diese Weise insgesamt zehn Patientinnen und Patienten gefunden; sie stammen aus sieben Familien. „Bei allen Betroffenen waren unterschiedliche Teile des Plexin-A1-Gens verändert“, betont Dworschak. „Fünf dieser Mutationen vererben sich rezessiv; die restlichen drei sind dominant.“
Dank weiterer Analysen ahnen die Wissenschaftler inzwischen auch, warum das so ist: Das Plexin-A1-Gen enthält die Bauanleitung für einen Rezeptor. Er sitzt in der Membran, die die Nervenzellen wie ein dünnes Häutchen umgibt. An seiner Außenseite können bestimmte Botenmoleküle andocken. Dadurch wird dann an dem anderen Ende des Rezeptors, das in die Zelle hineinragt, eine Reaktion ausgelöst.
„Wenn eine Mutation die Außenseite des Rezeptors betrifft, kann er keine Signale mehr empfangen“, spekuliert Dworschak. „Ist davon aber nur eine der beiden Plexin-A1-Versionen betroffen, gibt es genügend intakte Rezeptoren, die das kompensieren können.“ Mutationen auf der Außenseite sind daher vermutlich rezessiv. Ein Fehler auf der Innenseite des Rezeptors kann dagegen zu einer gravierenden Fehlsteuerung der Zelle führen. Womöglich reicht es, wenn nur eine Version des Plexin-A1-Gens auf diese Weise verändert ist, um erheblichen Schaden anzurichten. „Wir denken daher, dass solche Mutationen dominant sind, und sprechen dann von einem dominant negativen Effekt“, sagt Dworschak.
Insgesamt zeigen die Betroffenen ein breites Spektrum an Symptomen. Allen gemeinsam ist jedoch, dass bei ihnen die Hirnentwicklung in einem unterschiedlichen Ausmaß gestört ist. Auch Augen und Haut weisen bei vielen von ihnen Fehlbildungen auf. „Es war bekannt, dass das Plexin-A1-Gen beim Wachstum der Nervenzell-Ausläufer wichtig ist“, erklärt Reutter. „Für die Entwicklung vieler Organe spielt die Aussprossung von Nerven eine wesentliche Rolle. Die beobachteten Fehlbildungen bei den betroffenen Personen könnten daher durch die gestörte Entwicklung bestimmter Nervenfasern bedingt sein.“ Eine Folgestudie am Institut für Anatomie widmet sich derzeit dieser Fragestellung.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Die Originalpublikation findet ihr hier.
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