In Fachveröffentlichungen warnen Forscher vor einer „Pandemie gefälschter Arzneimittel“. Die EU rüstet sich seit Jahren – und Deutschland ist mit securPharm vorne dabei. Entsprechende Konzepte greifen an mancher Stelle zu kurz. Und viele Fragen bleiben bislang unbeantwortet.
Tim Macker, Direktor des US-amerikanischen Global Health Policy Institute (GHPi), ringt um Zahlen. Niemand wisse so genau, wie viele Medikamente auf dem Weltmarkt gefälscht seien, sagt Macker. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von „mindestens zehn Prozent aller Präparate“, bei hohem Unsicherheitsfaktor. Alle Daten beziehen sich wohlgemerkt auf legale Vertriebswege. In Asien, Zentralafrika oder Lateinamerika handelt es sich bei 30 bis 40 Prozent um illegale Kopien. Studien zeigen jetzt das wahre Ausmaß. Besonders häufig sind Pharmaka zur Therapie von HIV, Tuberkulose oder Malaria betroffen. Antibiotika stehen ebenfalls auf dem Programm zwielichtiger Labors. Doch Manipulation ist nicht gleich Manipulation. Analytische Labors finden teilweise gefährliche Fremdkontaminationen (20 Prozent der Proben) oder völlig wirkstofffreie Produkte (30 Prozent). Insgesamt versterben zwischen 100.000 und einer Million Menschen pro Jahr durch schlechte Pharmaka – sei es, weil die Wirkung ausbleibt oder weil Fremdstoffe zu schweren Schäden führen. Für kriminelle Organiosationen ist die Sache mehr als veritabel. WHO-Experten schätzen, dass jährlich Präparate für 100 Milliarden Dollar umgesetzt werden.
Ermittlungsbehörden geben weltweit ihr Bestes, dem Treiben Einhalt zu bieten. Die Zahlen beeindrucken auf den ersten Blick: An Pangea VII waren zuletzt etwa 200 Behörden von 111 Nationen beteiligt. Sie beschlagnahmten pharmazeutische Plagiate im Wert von 36 Millionen Dollar. Gleichzeitig ließen offizielle Vertreter mehr als 10.000 Websites sperren, davon 139 in Deutschland, und zerstörten drei illegale Fabriken. In den letzten vier Jahren wurden 1.400 Verdächtige verhaftet, und knapp 60.000 illegale Online-Apotheken geschlossen. Beeindruckende Erfolge? Wohl kaum. Über Nacht bauen Fälscher neue Infrastrukturen auf. Der Wettlauf zwischen Hase und Igel geht in die nächste Runde. Immer häufiger tauchen Plagiate in der legalen Lieferkette auf – vom preisgünstigen Omeprazol bis hin zu teuren Antikörpern für die Krebstherapie.
Experten hier zu Lande sind sich der Gefahr bewusst. Sie haben das Projekt securPharm ins Leben gerufen. Beim Pharmaziekongresses 2015 präsentierte Dr. Norbert Gerbsch vom Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) Details zum Zeitplan. Gerbsch erwartet bis Mitte des Jahres eine Entscheidung der europäischen Kommission, ob securPharm Mittel der Wahl beim Thema Fälschungsschutz werde. Überraschungen erwartet hier niemand: Auf europäischer Ebene befindet sich momentan nur securPharm in einem fortgeschrittenen Stadium. Andere Länder sind noch lange nicht so weit. Teilweise wurde nicht einmal mit Planungen begonnen. Langsam wird es ernst. Die Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie soll im Jahr 2018 umgesetzt werden. Auf delegierte Rechtsakte, um Anforderungen zu präzisieren, warten Apotheker bis heute. Gerbsch rechnet im vierten Quartal mit einer Veröffentlichung. Tests laufen bis dahin unvermindert weiter nach Plan. Bei uns setzen 385 Apotheken und 25 pharmazeutische Hersteller Datenbanken, Codes und Scanner ein. Statistiken zufolge werden 155 PZN erfasst. Alle Beteiligten haben bislang etwa 15 Millionen Packungen bearbeitet. Gerbsch gibt zu, es werde nie ein System geben, das zu 100 Prozent sicher sei.
Während Experten bemüht sind, die Vorteile von securPharm zu kommunizieren, stellen sich Apotheker etliche Fragen. In der Projektbeschreibung definieren Verantwortliche zwei strittige Ausnahmen. Rx-Arzneimittel müssen generell mit Sicherheitsmerkmalen versehen werden. Allerdings planen sie die „white list“: ein Verzeichnis mit verschreibungspflichtigen Präparaten ohne besondere Eigenschaften. OTC-Präparate sind dem Entwurf zufolge von entsprechenden Schutzvorkehrungen befreit – außer sie stehen auf der „black list“. Welche Medikamente sollen befreit werden, und welche nicht? Bestes Beispiel ist Omeprazol, mittlerweile als OTC und als Rx-Präparat erhältlich. Selbst bei niedrigpreisigen Arzneistoffen fanden Apotheker bereits Fälschungen in der legalen Lieferkette. Wo sollte hier eine sinnvolle Grenze gezogen werden? Damit nicht genug: Bei securPharm prüft eine zentrale Datenbank Codes, um zu klären, ob ein Arzneimittel bereits abgegeben worden ist. Nur wie halten Apotheken ihren Betrieb aufrecht, falls beispielsweise der Strom ausfällt oder die Internet-Verbindung gerade nicht zur Verfügung stehen? Und an welcher Stelle sollten Packungen gescannt werden? Gleich beim Wareneingang und zusätzlich bei der Abgabe? Haftungsfragen bleiben ebenfalls ungelöst, falls Patienten trotz der Technik zu Schaden kommen. Und nicht zuletzt sorgen sich Apotheker um mögliche Lagerwertverluste, sollten alte Packungen plötzlich nicht mehr verkäuflich sein. Hardware und Software gelten als weitere Kostentreiber in der Offizin.