Bei vielen Krebstherapien gehören pharmakogenomische Ansätze längst zum Standardprogramm. Forscher übersehen einen entscheidenden Aspekt: Viel zu selten ziehen sie gesundes Gewebe als Vergleich heran, denn nicht jede genetische Auffälligkeit ist mit malignen Erkrankungen assoziiert.
Personalisierte Medizin in großem Stil: Analysen des Erbguts gehört die Zukunft. Um große Zahlen an Patienten zu versorgen, soll beispielsweise das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg weiter ausgebaut werden. Leiden Patienten an Hautkrebs, Brust- oder Lungentumoren, gehören humangenetische Tests längst zur standardisierten Herangehensweise. Forschungsansätze zur DNA von malignen Geweben greifen teilweise zu kurz, berichten Forscher jetzt in „Science Translational Medicine“.
Victor E. Velculescu, Baltimore, hat zusammen mit Kollegen DNA-Proben von mehr als 800 Krebspatienten gesammelt. Die Untersuchung beschränkte sich aber nicht auf maligne Zellen, wie in anderen Studien. Vielmehr untersuchten die Forscher auch gesundes Gewebe. Das erste Resultat verwundert kaum: Bei drei von vier Tumoren traten Veränderungen im Erbgut auf. Genau hier setzen Pharmakotherapien an. Die eigentliche Überraschung kam beim Vergleich mit gesundem Gewebe. Einzelne Personen trugen seit ihrer Geburt Anlagen für Tumorerkrankungen, ohne dass es Hinweise in der Familie gab. Noch erstaunlicher war aber, dass zwei Drittel aller Anomalien nicht spezifisch für den Tumor sind, sondern auch in gesunden Zellen zu finden sind. Ein Teil dieser Mutationen taucht in sogenannten „actionable genes“ auf, sprich DNA-Abschnitten, die mit Pharmakotherapien in Verbindung stehen. Wer hier therapeutisch ansetzt, zieht den Kürzeren.
Die Quintessenz: Velculescu rät Ärzten und Forschern, nicht nur Tumor-DNA zu sequenzieren, sondern zeitgleich gesunde Zellen zu analysieren. Dafür reiche schon eine Speichelprobe, heißt es im Artikel. Vom reinen Datenbankabgleich hält er nichts. Über doppelte Kosten vor einer Therapieentscheidung werden sich Gesundheitsökonomen kaum freuen. Trotzdem mahnen die Autoren, eine Präzisionsmedizin erfordere auch eine Präzisionsgenetik.