Bislang hat man noch keinen Zwischenwirt gefunden, über den SARS-CoV-2 Menschen infizieren konnte. Jetzt fragen sich Forscher: Gab es womöglich nie einen?
Der genaue Ursprung des Coronavirus SARS-CoV-2 ist weiterhin unklar. Zwar zeigt das Virus phylogenetisch eine große Ähnlichkeit zu mehreren Coronavirus-Stämmen, die in China aus Fledermäusen isoliert wurden. Allerdings wird kein direkter Übergang, sondern ein noch nicht identifizierter Zwischenwirt angenommen.
Die Suche nach diesem Wirt dauert nun schon so lang wie die Pandemie selbst. Zwischenzeitlich gerieten unter anderem Schuppentiere, Schildkröten und Schlangen in den Fokus von Wissenschaftlern – allerdings ohne, dass sich der Verdacht gegen sie erhärten konnte. Jetzt fragen sich Forscher: Hat man möglicherweise bislang keinen Zwischenwirt gefunden, weil es gar keinen gab?
Der nächste Verwandte von SARS-CoV-2 ist das Fledermaus-Virus RaTG13, das eine 96,2 %ige Übereinstimmung im Erbgut aufweist. Das klingt nicht nach besonders viel, doch diese 4 % Unterschied weisen auf eine evolutionäre Lücke von rund 50 Jahren hin. Deswegen vermuten Wissenschaftler bislang, dass die Viruslinien, aus denen SARS-CoV-2 hervorgegangen ist, seit Jahrzehnten unbemerkt in Fledermäusen zirkulierten, ehe ein Zwischenwirt den Übersprung zum Menschen möglich machte.
Ein weiterer Hinweis für die Existenz eines Zwischenwirts ist, dass es auch bei anderen Coronavirus-Ausbrüchen Zwischenwirte gab – bei SARS-CoV und MERS-CoV. Hier waren es Schleichkatzen und Dromedare, in denen Vorläufer-Viren gefunden wurden, die eine genetische Übererinstimmung zu SARS- bzw- MERS-CoV von 99 % aufwiesen. Bei Viren von Zwischenwirten, die bei SARS-CoV-2 in Verdacht gerieten, wie Pangoline, hat man bislang nur eine Übereinstimmung von etwa 90 % gefunden.
Doch Wissenschaftler gehen auch der Theorie nach, die gegen die Existenz eines Zwischenwirts sprechen. Die Mutationsrate von SARS-CoV-2 ist etwa ungewöhnlich niedrig, dafür, dass es ein neues Virus in einem neuen Wirt ist. Wissenschaftler um Prof. David L. Robertson der Universität Glasgow erklären: „Überraschend ist, dass SARS-COV-2 schon seit Beginn hoch übertragbar ist. Normalerweise benötigen Viren, die auf einen neuen Wirt überspringen, Zeit sich anzupassen, um so leicht übertragbar zu sein wie SARS-CoV-2 es ist. Oft endet das in in einer Sackgasse oder es bleibt bei lokalen Ausbrüchen.“
Die Bioinformatiker vermuten basierend auf ihren phylogenetischen Studien, dass die meisten genetischen Veränderungen, die eine Infektion von Menschen möglich machen, schon in älteren Vorgänger-Viren von SARS-CoV-2 in Fledermäusen stattgefunden haben – und nicht in den jüngsten Viruslinien. Möglich ist auch, dass SARS-CoV-2 schon vor Dezember 2019 unbemerkt in Menschen zirkulierte und deswegen seit seiner Entdeckung nur wenige genetische Veränderungen durchmachte.
Das Team um Robertson hat zumindest eine Art ausfindig machen können: Rhinolophus affinis ist auch Träger des nächsten SARS-CoV-2-Verwandten RaTG13. Zudem ist diese Art von Hufeisennasen-Fledermäusen in weiten Teilen Asiens zu finden und überschneidet sich mit dem Lebensraum vieler anderer Fledermaus-Arten. So ist es laut Roberts möglich, dass verschiedene Coronaviren eine Art gleichzeitig infizieren und Rekombinationen stattfinden kann. Damit ist die zufällige Neu-Zusammensetzungen von Coronavirus-RNA gemeint, ein wichtiger Schritt bei der viralen Evolution.
Den wohl wichtigsten Hinweis liefert eine chinesische Studie. Darin hatten Forscher in verschiedenen Fledermaus-Arten 24 neuartige Coronaviren und vier SARS-CoV-2-ähnliche Viren gefunden. Diese waren nachträglich auch bei neun Infizierten gefunden worden. Laut der Forscher zeige dies, dass ein direkter Weg von Fledermäusen zu Menschen stattgefunden haben könnte. Bewiesen ist das allerdings nicht.
„SARS-CoV-2 ist ein Generalist und kann verschiedene Tierarten infizieren“, erklärt Robertson. „Deswegen ist ein Zwischenwirt vielleicht gar nicht notwendig gewesen ist. Das können wir allerdings auch nicht ausschließen.“
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