Hochdosiertem Vitamin C wird nachgesagt, selektiv Tumorzellen abzutöten. Doch gibt es irgendwelche Belege dafür, dass es sich zur Krebstherapie eignet? Ein Fakten-Check.
Vitamin C ist ein relativ einfach gebautes, wasserlösliches Molekül, welches für den Menschen essenziel ist. Ascorbinsäure, wie das Vitamin auch genannt wird, ist unter anderem beteiligt an der Kollagen- und Steroidhormon-Synthese sowie am Stoffwechsel der Gallensäure und der Aminosäuren. Maßgebend für die Funktionen des Vitamin C bei physiologischen Prozessen ist seine chemische Struktur: Ascorbinsäure ist ein starkes Reduktionsmittel und kann daher Elektronen auf andere Moleküle übertragen. Aufgrund dieser Eigenschaft wirkt Vitamin C antioxidativ und ist Cofaktor für zahlreiche Enzyme.
Aufgrund dieser Eigenschaften ist es kein Wunder, dass Ascorbinsäure unzählige positive Eigenschaften – teilweise wissenschaftlich gut belegt, teilweise (noch) nicht – nachgesagt werden. Eine davon ist, dass das Vitamin in extrem hohen Konzentrationen selektiv Tumorzellen angreift und diese abtötet. Eine solche Antitumorwirkung kommt allerdings nur bei einer intravenösen Gabe zustande, da durch diese Applikationsform die regulierte Aufnahme über den Vitamin-C-Transporter umgangen wird. Vitamin C wirkt in diesem Fall als Prooxidans und führt dazu, dass tumorschädigender Wasserstoffperoxid gebildet wird. Nachgewiesen wurde der Mechanismus an Tumorzelllinien und in Tierversuchen an Ratten und Mäusen – nicht an Menschen.
„Die intravenöse Gabe von hochdosiertem Vitamin C sollte mit Vorsicht betrachtet werden“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Nicole Erickson vom Comprehensive Cancer Center der LMU München und erklärt, dass in wissenschaftlichen und Expertenkreisen diese Empfehlung noch sehr kontrovers diskutiert wird. Grund sei, dass die Daten aus kontrollierten, prospektiven Interventionsstudien bisher noch nicht ausreichen, um aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht eine Antitumorwirkung zu bestätigen. Denn die Studien zur intravenösen Hochdosis-Vitamin-C-Therapie, die häufig zitiert werden, gehören zu der „präklinischen Phase“ oder sind Phase-I-Studien:
„Aus methodischen Gründen können Phase-I-Studien keine verlässlichen Aussagen über den Behandlungserfolg gewährleisten. Die meisten aktuellen Studien zur Verabreichung von hochdosiertem Vitamin C an Menschen sind jedoch Phase-I-Studien,“ erklärt Erickson. „Die Studien können zudem nicht miteinander verglichen werden, da sie sich bezüglich Aufbau, Patientenkollektiv, Dosierung und Beobachtungszeitraum voneinander unterscheiden. Bei manchen Studien werden die veröffentlichten Ergebnisse kontrovers diskutiert.“
Ebenfalls nicht eindeutig ist die Rolle von Vitamin C in der Prävention onkologischer Erkrankungen. „Vitamin C ist zwar ein Antioxidans und oxidativer Stress scheint eine Rolle in der Tumorentstehung zu spielen“, so Erickson. Allerdings fehlen auch hier die „Beweise“. Es existieren zwar Kasuistiken zur Behandlung fortgeschrittener Tumore, bei denen eine Regression oder komplette Remission erreicht werden konnte, allerdings mangelt es immer noch große klinische Studien.
Ein systematischer Review aus dem Jahr 2015 beispielsweise hatte untersucht, welchen Effekt Vitamin C hat, wenn es begleitend zur Chemotherapie verabreicht wird. Obwohl sich positive Hinweise andeuteten, zeigte sich keine hohe Evidenz für einen zusätzlichen antitumorösen Effekt sowie eine Toxizitätsminimierung. Eingeschlossen in diesem Review waren insgesamt nur sechs randomisierte kontrollierte Studien, wobei zwei den Einfluss von Vitamin-C-Infusionen und vier den Einfluss von oralen Vitamin-C-Präparaten untersuchten. „Da die Studien heterogen waren und jeweils eine kleine Anzahl an Probanden eingeschlossen haben, könnten die Ergebnisse genauso gut auf Zufallsschwankungen beruhen,“ gibt die Expertin zu bedenken.Vor zwei Jahren erschien ein weiterer systematischer Review. Niederländische Wissenschaftler hatten untersucht, welche Wirkung die Supplementation mit Vitamin C auf den Verlauf einer Krebserkrankung hat. „Dieser konnte keine positiven Effekte zeigen auf das Gesamtüberleben, den klinischen Status, die Lebensqualität oder den Leistungsstatus. Die eingeschlossenen Studien waren allerdings von eher geringer Qualität,“ erläutert Erickson.
Demnach ist es nicht verwunderlich, weswegen Ärzteschaft, Krankenkassen und Gesetzgeber die Hochdosis-Vitamin-C-Infusion derzeit nicht empfehlen: Schuld ist nicht die Angst vor Einkommenseinbußen, sondern die Tatsache, dass die Behandlung noch umstritten ist. „Die Krebsgesellschaften und Arzneimittel-Zulassungsstelle unterstützen die hochdosierte Vitamin-C-Infusion bei Krebspatienten, empfehlen diese jedoch noch nicht,“ sagt Erickson. „Obwohl präklinische Daten auf einen Effekt gegen Krebs hinweisen, ist der Mechanismus noch unklar, und daher ist es schwierig, die pharmakodynamischen Wirkungsweisen zu präziseren bzw. in Humanstudien zu rationalisieren.“ Hochdosiertes Vitamin C müsse daher noch als ein experimenteller Eingriff betrachtet werden, weswegen es momentan nur innerhalb gut kontrollierter Studien und in Rücksprache mit dem behandelnden Onkologen bei Krebspatienten eingesetzt würde.
Die Rücksprache mit dem Arzt ist umso wichtiger, da auch Vitamin C Nebenwirkungen und Interaktionen aufweist. Wasserlösliche Vitamine, zu denen die Ascorbinsäure gehört, werden zwar generell in hohen Dosen vertragen, doch auch bei der Hochdosis-Vitamin-C-Infusion können Nebenwirkungen wie Übelkeit, abdominelle Krämpfe und Diarrhö, Hypoglykämie und Hypotonie auftreten. Kontraindiziert ist sie bei einem Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel sowie bei einem Risiko von Nierensteinen sowie Nierenerkrankungen. Daneben kann Vitamin C die Wirkung von Chemo- oder Strahlentherapie reduzieren. Laut der Ernährungsexpertin Erickson sollten daher grundsätzlich Vitamine und Spurenelemente nicht ohne ärztliche Absprache zusätzlich eingenommen oder infundiert werden.
Wie sollte man also mit Patienten umgehen, die nach einer Hochdosis-Vitamin-C-Infusion fragen? „Patienten haben einen Grund, um nach solchen Behandlungen zu fragen. Oft steckt der Wunsch nach mehr Empathie und Zeit für ihre Probleme dahinter. Wenn man sich Zeit nimmt und die Gründe der Patienten hinterfragt, lassen sich oft gemeinsam Alternativen oder weitere evidenzbasierte supportive Therapiemethoden finden, die für die Patienten und deren individuelle Situation besser passen,“ antwortet Erickson.
Mit folgenden Punkten lassen sich Internetseiten nach ihrer Seriosität beurteilen:
Bildquelle: Diana Polekhina, unsplash