„Keine Angst, das ist kein Corona sondern ein kleinzelliges Bronchialkarzinom“, erklärt der Mann nach einer Hustenattacke. Hinter mir liegt ein Tag mit drei Begegnungen, die ich nicht vergessen werde.
Man sollte meinen, nach über 20 Jahren in der Apotheke hinter dem HV hätte ich schon so viele Schicksalsschläge erlebt, dass mich nichts mehr richtig erschüttert. Doch das ist falsch.
Wenn ein Mann im „besten Alter“ nach einer Hustenattacke in der Apotheke über unseren coronabesorgten Blick abwinkt und sagt: „Keine Angst, das ist kein Corona, sondern ein kleinzelliges Bronchialkarzinom“, dann trifft es mich. Es legt den Finger auf die Wunde: Ich mache mir zuerst Sorgen um MEINE Gesundheit (die nach zwei Impfungen eigentlich nicht wirklich gefährdet ist), obwohl ich mich um den Menschen vor mir sorgen sollte, der tatsächlich ein bedrohliches gesundheitliches Problem hat. Das beschämt mich.
Wenn eine Frau mit Tränen in den Augen die Medikamente für ihren Mann zurückbringt, weil er sie „nicht mehr brauchen“ wird und er genau so alt ist wie mein Mann, dann trifft es mich. Weil ich mitleide, weil mir die Worte fehlen, weil die pharmazeutische Hilfe am Ende ist.
Wenn eine Mutter vor mir steht und mir erzählt, dass sie sich gerade fühlt als sei das alles unwirklich, nicht ihr Leben, ein falscher Film – weil bei ihrem Sohn eine stark lebenslimitierende Erkrankung festgestellt wurde – dann trifft es mich. Ganz besonders, weil ich die Kundin und ihren Mann wirklich mag, auch wenn ich den Sohn nicht kenne. Ich spende irgendwie ein wenig Trost, versuche es, ohne dass mir selbst die Tränen in die Augen steigen, höre ein „Danke“ und schaue in die Augen einer zutiefst verzweifelten Mutter.
Und wenn das alles, alles, alles an einem einzigen Tag passiert – so wie gestern – dann gehe ich nach Hause und lasse erst mal die Tränen laufen. So lange bis mein eigenes Kind besorgt fragt, ob alles gut ist. Und ich es nur noch stumm drücken kann und einfach dankbar bin, dass es da ist und mein Leben noch nicht zum „falschen Film“ geworden ist.
Ja, auch in der Apotheke leiden wir mit. Und manchmal weinen wir auch mit.
Bildquelle: Harli Marten, Unsplash