Das ging schnell: In Großbritannien könnte die Indien-Mutante bald Spitzenreiter sein. Hierzulande ist B.1.617 noch ein Underdog. Trotzdem: Eine vollständige Impfung ist wichtiger denn je, wie neue Daten zeigen.
Momentan sieht es in Großbritannien so aus, als würde die indische Variante B.1.617.2 von SARS-CoV-2 bald die britische Variante (B.1.1.7) in der Vebreitung ablösen – auf bisher allerdings sehr niedrigem Gesamtniveau. Das geht aus dem neuen Bericht der englischen Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) hervor. Diesem Effekt gegenüber stehen die Erfolge der Impfkampagne, welche die Infektionszahlen deutlich abbremst.
Bisher ist die starke Ausbreitung von B.1.617.2 erst in einigen Regionen des Landes zu sehen, aber Wissenschaftler wie die Mathematikerin Prof. Christina Pagel gehen davon aus, dass die indische Variante bald in ganz Großbritannien dominieren wird. Auf Twitter schreibt sie: „B.1.617.2 kann durch direkte Sequenzierung ODER durch Verwendung des „S-Gens“ in einem PCR-Test nachgewiesen werden (mittlerweile sind 99 % davon B.1.617). BEIDE diese Methoden schätzen nun, dass ab dem 15. Mai B.1.617.2 an der Schwelle zur dominanten Variante in Großbritannien steht.“
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Auch über die Effektivität der Impfstoffe gegenüber B.1.617.2 gibt der Bericht erste Informationen. Denn neue Ergebnisse einer von der PHE durchgeführten Studie deuten darauf hin, dass zwei Dosen eines Covid-19-Impfstoffs erforderlich sind, um einen starken Schutz gegen eine symptomatische Infektion mit der indischen Coronavirus-Variante zu gewährleisten.
In der Studie zeigte sich, dass der Impfschutz nach Erhalt der zweiten Dosis bei 81 Prozent gegen B.1.617.2, im Vergleich zu 87 Prozent gegen die in den letzten Monaten vorherrschende Variante B.1.1.7 lag. Die vorläufigen Ergebnisse wurden bei einem Treffen der New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group (Nervtag) der Regierung vorgestellt. Die PHE-Zahlen fassen die Daten der Impfungen von BioNTech/Pfizer und Oxford/AstraZeneca zusammen.
Wo nach der ersten Impfung bei der bisher in England vorherrschenden Variante B.1.1.7 ein Schutz vor symptomatischen Infektionen von 51 Prozent erwartet werden konnte, lag er bei der indischen Variante nur noch bei 33 Prozent. Diese Ergebnisse deuten also auf einen um 35 Prozent schlechteren Schutz gegen B.1.617.2 im Vergleich zu B.1.1.7 nach nur einer Impfung hin. Nach Erhalt der zweiten Impfung konnten die Wissenschaftler für B.1.1.7 einen Schutz von 87 Prozent errechnen – eine Bestätigung der bisher angenommenen Schutzwirkung von 85-90 Prozent. Für B.1.617.2 konnte hier immernoch eine Schutzwirkung von 81 Prozent errechnet werden – der Abfall ist hier also nur gering.
Dabei gibt es gewisse Unterschiede zwischen der zweifachen BioNTech- und der zweifachen AstraZeneca-Impfung, wie ein ebenfalls vorgelegter Preprint zeigt. Demnach errechnet sich nach zwei Dosen BioNTech eine B.1.617.2 Effektivität von 87,9 %, nach zwei Dosen AstraZeneca sind es nur 58,8 %. Das wäre eine deutliche Differenz. Allerdings weisen viele Experten darauf hin, dass die Datensätze nicht vergleichbar seien: Die AstraZeneca-Zweitimpfungen starteten wegen des größeren Booster-Fensters und der britischen Erstimpfungspolitik deutlich später, und die Abstände zur Zweitimpfung sind eventuell noch zu kurz.
Der Datenjournalist John Burn-Murdoch zeigt sich auf Twitter zufrieden mit diesen Ergebnissen: „81 Prozent für B.1.617.2 ist ein sehr kleiner Einbruch und die Konfidenzintervalle überschneiden sich mit einem Bereich von 85–90 Prozent, so dass es möglich ist, dass es überhaupt keinen Abfall gibt.“
Er sieht die Einbußen beim Schutz gegen B.1.617.2, besonders im Vergleich zu Daten zur Südafrika-Variante, als positiv an. Eine Studie aus Katar habe ergeben, dass bei der Südafrika-Variante B.1.351 eine erste Dosis nur zu 17 Prozent vor symptomatichen Verläufen schütze, nach zwei Dosen stieg die Wirkung aber auch hier auf 75 Prozent an.
Die Daten aus Großbritannien zeigen jetzt erneut, wie wichtig die Verabreichung einer zweiten Impfdosis ist. Der Epidemiologe Adam Kucharski drückt es so aus: „In erster Linie ist es eine weitere Erinnerung daran, dass zweite Dosen wichtig sind. Im August/Sep. wird sich UK in einer viel besseren Position gegenüber B.1.617.2 befinden, aber in der Zwischenzeit besteht das Risiko einer erheblichen Übertragung, wenn weiter geöffnet wird.“
Die rasche Ausbreitung von B.1.617.2 in einigen Gebieten Englands hat Zweifel am Fahrplan des Landes geweckt, langsam Geschäfte, Restaurants und öffenltiche Einrichtungen wieder zu öffnen. Die nächste Öffnungsphase soll am 21. Juni beginnen.Bildquelle: Long Ma, unsplash