Ibuprofen oder Paracetamol sind bei Schwangeren das Schmerzmittel erster Wahl. Doch die Ergebnisse zahlreicher neuer Studien legen nahe, dass die Einnahme keineswegs unbedenklich für das Ungeborene ist. Mediziner sehen keinen Grund zur Sorge. Wer hat Recht?
Wenn Schwangere zu einem Schmerzmittel greifen, gelten in den ersten beiden Dritteln der Schwangerschaft Paracetamol und Ibuprofen als gleichberechtigte erste Wahl. Mit Beginn des dritten Trimenons ist Ibuprofen tabu, weil es zum vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus beim Fetus führen kann. Zahlreiche neue Studienergebnisse warnen vor weiteren Risiken der Analgetika in der Schwangerschaft. Bisher stand meist Paracetamol im Fokus, wenn es um die Toxizität und die Prävalenzsteigerung von Asthma, Neurodermitis und neurologischen Störungen geht. Jetzt wird auch vor Ibuprofen in der Schwangerschaft gewarnt. Dr. Anke Diemert aus der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin des UKE Hamburg untersuchte in der PRINCE-Studie, wie Schwangere mit Analgetika umgehen. Einmal pro Trimester wurden die Frauen befragt, welche Medikamente sie sporadisch oder regelmäßig einnehmen. Außerdem wurde einem Teil der 518 Schwangeren Nabelschnurblut entnommen, um den Einfluss von Paracetamol auf hämatopoetische Stammzellen zu testen. 47 Prozent der Schwangeren nahmen mindestens einmal in der Schwangerschaft ein rezeptfreies Analgetikum ein. Dabei griffen 86 Prozent der Frauen auf Paracetamol zurück. Die Studie zeigte, dass die Zahl der hämatopoetischen Stammzellen im Nabelschnurblut nach mütterlicher Paracetamol-Einnahme verringert war, besonders wenn die Einnahme im dritten Trimester der Schwangerschaft erfolgte. Eine Veränderung der Stammzellen kann sich auf die Differenzierung von Immunzellen auswirken, welche bei der Entstehung von Krankheiten wie zum Beispiel allergischem Asthma von Bedeutung sind. Nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAID) sind eines der am häufigsten verwendeten rezeptfreien Medikamente zur Behandlung von Schmerzen, Entzündungen und Fieber, wobei Ibuprofen einen signifikanten Marktanteil darstellt. Unter dem Aspekt neuer Daten zur Risikobewertung der Einnahme von Paracetamol oder Ibuprofen während der Schwangerschaft bekommen die Ergebnisse ein besonderes Gewicht. Die Einnahme dieser Analgetika führt vermutlich zu fetalen Schäden.
Sabrina Leverrier-Penna vom Forschungsinstitut INSERM in Rennes untersuchten in einer aufwendigen Studie den Einfluss von Ibuprofen auf die Entwicklung von Eizellen. Die Experimente wurden an menschlichen Ovarien durchgeführt, die von induzierten Aborten in der siebten bis zwölften Schwangerschaftswoche stammten. Für die Studie wurden 185 Feten untersucht: Ihr Eierstockgewebe wurde unterschiedlich konzentrierten Ibuprofenlösungen ausgesetzt. Die Keimzellen reagieren im fetalen Eierstock besonders empfindlich auf Ibuprofen, so ein Ergebnis der Studie. Es zeigte sich eine verringerte Gesamtzahl an Keimzellen, weniger Proliferation und erhöhte Apoptose. Einige Frauen hatten zwei bis vier Stunden vor dem Schwangerschaftsabbruch Ibuprofen eingenommen. Hier wurde die Konzentration von Ibuprofen im Nabelschnurblut bestimmt. Die Ibuprofen-Konzentrationen lagen im Durchschnitt bei 7,1 ± 5,02 μM (0,37-14,5 μM), wenn schwangere Frauen 800 mg Ibuprofen 2-5 Stunden vor dem Schwangerschaftsabbruch eingenommen hatten. Nach Einnahme einer Einzeldosis von 400 mg lag die Ibuprofen-Konzentration im Durchschnitt bei 2,09 ± 1,25 μM im Nabelschnurserum. Der Fötus ist somit einer relativ vergleichbaren Ibuprofenkonzentration ausgesetzt wie die Mutter. „Weibliche Babys werden mit einer endlichen Anzahl von Follikeln in ihren Eierstöcken geboren, was ihre zukünftige Reproduktionsfähigkeit als Erwachsene definiert“, so Dr. Séverine Mazaud-Guittot, Forscherin am INSERM und Leiterin der Studie. „Eine schlecht bestückte Anfangsreserve führt zu einer verkürzten Fortpflanzungsfähigkeit, einer frühen Menopause oder Unfruchtbarkeit – alles Ereignisse, die Jahrzehnte später im Leben auftreten.“ Auch nach einer Einnahmepause bleibt die Ovarialreserve vermindert. Mit der Studie wurde ebenfalls bewiesen, dass Ibuprofen im 1. Trimester in die Placenta zum Fötus gelangt. Die fötalen Zellen waren außerhalb des Körpers Ibuprofen ausgesetzt, weitere Studien müssen zeigen, dass die Einnahme von Ibuprofen in der Schwangerschaft zu denselben Schäden führt. „Derzeit ist es eine Spekulation, ob Frauen nach 30 Jahren weniger fruchtbar sind, wenn deren Mutter während der Schwangerschaft Ibuprofen eingenommen hat. Langfristige Folgestudien sind nun notwendig“, erklärt Professor Hans Evers, Chefredakteur der Human Reproduction.
Erstaunlicherweise wurde fast zeitgleich von anderen Forschergruppen unabhängig herausgefunden, dass auch Paracetamol zu Schäden der Ovarien weiblicher Föten führen kann. Eine dänische Metaanalyse hat drei tierexperimentelle Studien analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass Paracetamol in der Schwangerschaft eingenommen die Oozytenreserve weiblicher Föten reduziert. In Dänemark nimmt Studien zufolge jede zweite Schwangere Paracetamol ein, in Frankreich soll der Anteil sogar bei fast 90 Prozent liegen. Die namhafte Society for Endocrinology hält die Analyse für so bedeutsam, dass sie ausdrücklich vor der Paracetamoleinnahme während der Schwangerschaft warnt: „Die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft kann die zukünftige Fruchtbarkeit der weiblichen Nachkommen beeinträchtigen“, so die Gesellschaft. Besonders in der Frühschwangerschaft hat sich Paracetamol als besonders schädlich erwiesen. Eine geringe „Oozytenreserve“ ist eine häufige Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch. Der deutlichste Rückgang wurde bei Mäusen 13,5 Tage nach der Befruchtung festgestellt. Bei Ratten war dies nach 16,5 Tage nach der Befruchtung der Fall. Dies entspricht ungefähr der 10. Gestationswoche beim Menschen. Das ist der Zeitpunkt, zu dem es in den weiblichen Keimzellen zu einer Unterbrechung der Meiose in der Prophase 1 kommt, die bis zur monatlichen Reifung der Eizellen anhält.
Zu denken geben die Daten, weil sie in unterschiedlichen Arbeitsgruppen und verschiedenen Nagerspezies ähnliche Veränderungen ausgelöst haben. Es ist jedoch unklar, ob die Ergebnisse auf Menschen übertragbar sind. „Als Wissenschaftler sind wir nicht in der Lage, medizinische Empfehlungen auszusprechen, aber wir möchten schwangere Frauen mit Schmerzen dazu auffordern, ihren Hausarzt, ihre Hebamme oder Apotheker um Rat zu fragen“, erklärt Dr. David Kristensen in der Mitteilung der Society for Endocrinology. Auch wenn die Studie alarmierend ist, führen einige Mängel in der Durchführung zur Frage der Praxisrelevanz. Die in Rattenstudien verwendeten Dosen lagen deutlich über der relativen Dosis beim Menschen. Eine verwendete Dosis von 350 mg /kg/Tag führte zu 2,5-8-fach höheren Plasmaspiegeln von Paracetamol als bei Menschen nach normaler therapeutischer Dosierung während der Schwangerschaft. Ob die hohe Dosis zu Lebererkrankungen geführt hat, die Auswirkungen auf die Hormonsteuerung hätten, ist nicht untersucht worden. In einer Mausstudie wurde jedoch eine Reduktion der Follikel mit einer ähnlichen Dosis wie bei schwangeren Frauen (50 mg/kg/Tag) dokumentiert. Nach der Studie wurden Expertenmeinungen vom Science Media Center eingeholt. Dort war man sich einig, dass die Daten nicht zu einem Verzicht der Einnahme von Paracetamol ausreichen. Darüber, dass die pränatale Einnahme von Paracetamol beim Kind das Risiko für ADHS und Autismus steigern kann, hat DocCheck bereits im Jahr 2016 berichtet. Vermutet wurde, dass dieser Effekt durch eine Interaktion mit den Cannabinoidrezeptoren zusammenhängt. Diese Rezeptoren beeinflussen normalerweise die Entwicklung und Verschaltung von Neuronen.
Die SELMA-Studie untersucht langfristig die Gesundheit von Müttern und Kindern auch in Bezug auf die Einnahme von Arzneimitteln während und nach der Geburt. Die schwedische Studie begleitet mehr als 6.000 Frauen durch die Schwangerschaft und die Kinder in den ersten Lebensjahren. 754 Frauen wurden befragt, ob und wie viel Paracetamol sie im ersten Drittel der Schwangerschaft eingenommen haben. Sie wurden befragt, ob ihre Kinder, insgesamt 905, einen Wortschatz von mehr oder weniger als 50 Wörtern beherrschen. Im gesamten Untersuchungskollektiv wiesen insgesamt 64 Kinder einen Wortschatz von weniger als 50 Wörtern auf. Ein signifikanter Effekt ließ sich in der Gruppe der Mütter nachweisen, die am meisten Paracetamol nahmen. Sie berichteten, mehr als 6 Tabletten im 1. Trimester genommen zu haben. Ihre Töchter hatten ein knapp 6-fach erhöhtes Risiko, eine Sprachretardierung zu bekommen, im Vergleich zu Töchtern, deren Mütter gar kein Paracetamol genommen haben. Das Risiko lag bei 12,6 versus 4,1 Prozent. Kurios ist, dass die Jungen einen größeren Wortschatz hatten, deren Mütter Paracetamol eingenommen haben. Die Studie zeigte neben der für diese Fragestellung kleinen Fallzahl Unzulänglichkeiten auf. Es wurde beispielsweise nicht hinterfragt, in welchem Intervall Paracetamol eingenommen wurde.
Unabhängig von den Warnungen vor Paracetamol und Ibuprofen in der Schwangerschaft, gibt es weitere Risikosignale. Ob freiverkäufliche Schmerzmittel Gedanken und Emotionen beeinflussen, haben Psychologen der Arbeitsgruppe von Kyle G. Ratner an der Universität Kalifornien untersucht. Getestet wurde, ob Ibuprofen nicht nur bei physischen sondern auch bei emotional schmerzhaften Erfahrungen wirkt. Dafür wurden die Probanden beispielsweise von einem Spiel ausgeschlossen oder mussten über eine Situation berichten, in der sie im Stich gelassen wurden. Frauen, die eine Dosis Ibuprofen eingenommen hatten, fühlten sich weniger gekränkt als die Vergleichsgruppe von Frauen, die ein Placebo erhielten. Bei Männern hingegen führte die Einnahme zu dem Gefühl der verstärkten Kränkung. Sogar die Beziehung zum eigenen Besitz ändere sich nach der Einnahme von Paracetamol oder Ibuprofen: Unter Schmerzmittel-Einfluss können sich Menschen leichter von ihrem Eigentum trennen und setzten im Vergleich zur Placebo-Gruppe einen geringeren Verkaufspreis an. Diese Studie deutet darauf hin, dass Paracetamol und Ibuprofen Einfluss darauf haben könnten, wie Menschen emotionale Not erfahren, kognitive Diskrepanzen verarbeiten und Reize in ihrer Umgebung bewerten, so das Resümee der Studienautoren.
Das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin stellt auf einer Homepage Daten zu Arzneimitteln in der Schwangerschaft und Stillzeit bereit. Die aktuellen Daten zu Paracetamol und Ibuprofen scheinen noch nicht berücksichtigt zu sein oder werden als nicht praxisrelevant eingestuft. Zu Ibuprofen heißt es lediglich: „Alle bis heute vorliegenden Daten zusammengefasst, gibt es beim Menschen keine ernsthaften Hinweise auf Teratogenität“. Noch weniger kritisch ist die Meinung zu Paracetamol: „Bei medikamentös behandlungspflichtigen Schmerzen gehört Paracetamol in jeder Phase der Schwangerschaft zu den Analgetika der Wahl.“ Trotz vieler Fragen, die die zahlreichen Studiendaten zum Risikopotenzial von Paracetamol und Ibuprofen aufwerfen, ist klar, es gibt keine wirklichen Alternativen. Seit Jahrzenten ist kein neues nicht-opioides Analgetikum auf den Markt gekommen. Anhänger der Komplementärmedizin werden sicherlich Homöopathie und Phytotherapie als sanfte Alternativen auf das analgetische Spielfeld zerren, aber die evidenzbasierte Datenlage bei „banalen Schmerzen“ ist gering. Bei Spannungskopfschmerz in der Schwangerschaft ist beispielsweise Minzöl eine leitliniengerechte Empfehlung.