Nachdem zahlreiche Skandale das Vertrauen in das Organtransplantationssystem erschüttert hatten, ist die Zahl der Organspender im ersten Quartal 2015 nun zum ersten Mal wieder gestiegen. Deutet sich eine Trendwende an?
Bisher sah die Zukunft der Organtransplantation in Deutschland eher düster aus: Noch im Januar veröffentlichte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Zahlen, denen zufolge die Zahl der postmortalen Organspender im Jahr 2014 weiter auf 864 gesunken war – das ist der niedrigste Stand seit dem Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes im Jahr 1997. Die DSO versuchte zwar optimistisch, das Debakel als Ende des Abwärtstrends zu verkaufen und sprach davon, die Organspendezahlen hätten sich „auf niedrigem Niveau stabilisiert“. Doch an eine echte Trendwende wollte noch niemand glauben. Nun aber hatte der Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG), Prof. Björn Nashan, gute Nachrichten für die Teilnehmer des 132. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in München. Seit einigen Monaten habe die DSO in vier von sieben Spenderregionen einen Anstieg der Organspendezahlen festgestellt. Im ersten Quartal des laufenden Jahres seien demnach 242 Organspenden registriert worden, im gleichen Vorjahreszeitraum waren es nur 204. Auch nehme die Zahl der spendeinteressierten Menschen wieder zu, was sich in einer steigenden Anzahl von Anrufen beim gemeinsamen Infotelefon von BZgA und DSO zeige. „Besonders wichtig ist es uns, zu sehen, dass die Bevölkerung wieder Vertrauen in das System fasst und damit auch eine Anerkennung der eingeleiteten Aufarbeitungsprozesse signalisiert“, betonte Nashan. Ob der am 6. Mai erfolgte Freispruch von Transplantationsmediziner Aiman O. die Hoffnungen der Organspende-Verfechter wieder zunichtemachen wird, muss sich indes noch zeigen. Das Gericht attestierte dem Chirurgen und ehemaligen Leiter des Lebertransplantationszentrums in Göttingen zwar, die Manipulation der Patientendaten sei „moralisch zu missbilligen“, doch die Verstöße des Angeklagten seien zum Tatzeitpunkt nicht strafbar gewesen. Die zuständige Staatsanwaltschaft kündigte an, den Bundesgerichtshof anrufen zu wollen.
Im Rahmen der Untersuchungen zum Fall Aiman O. wurden auch in Leipzig, München, Münster und am Berliner Herzzentrum Verstöße gegen die Transplantationsrichtlinien festgestellt. Als Reaktion schnürten Gesetzgeber und Selbstverwaltung ein Maßnahmenbündel, um mehr Kontrolle und Transparenz bei der Organvergabe zu erreichen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte dazu, es sei durch die Reformen gelungen, für mehr Sicherheit und Klarheit in den Transplantationszentren und den Entnahmekrankenhäusern zu sorgen. „Unter anderem haben wir das Mehraugenprinzip bei der Anmeldung von Wartelisten-Patienten eingeführt und eine unabhängige Vertrauensstelle ‚Transplantationsmedizin‘ zur Meldung von Auffälligkeiten und Verstößen gegen das Transplantationsrecht eingerichtet“, erklärte Montgomery. Ein wesentlicher Punkt sei zudem gewesen, die Befugnisse der Prüfungs- und der Überwachungskommission auszuweiten und alle Transplantationszentren mindestens einmal innerhalb von 36 Monaten vor Ort zu überprüfen.
Die Novellierung des Transplantationsgesetzes im Jahr 2012 brachte noch weitere Änderungen: Seitdem gilt das Fälschen von Patientendaten mit der Absicht, Patienten auf der Warteliste zu bevorzugen, als Straftat und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet werden. Zudem wurden alle Entnahmekrankenhäuser dazu verpflichtet, einen Transplantationsbeauftragten zu bestellen. Einem jüngst von der Bundesregierung veröffentlichten Bericht zufolge gibt es jedoch Streit darüber, wie die Arbeit dieser Beauftragten langfristig finanziert werden soll. Davon abgesehen kommt die Bundesregierung in dem Bericht aber zu dem Schluss, dass die durchgeführten Reformen Wirkung zeigen und zu mehr Transparenz beitragen. Als künftige Maßnahmen fordert die Bundesregierung neben Aufklärungs- und Informationskampagnen auch, dass der Aufbau eines nationalen Transplantationsregisters vorangetrieben wird. Außerdem sei es wichtig, eine „Kultur des Vertrauens“ in den Entnahmekrankenhäusern zu fördern. Tatsächlich ist dies dringend nötig, da einer 2013 durchgeführten Umfrage unter medizinischem Fachpersonal zufolge nur 23 % der Befragten die Organverteilung als gerecht empfanden.
Doch nicht erst seit den jüngsten Skandalen ist die Spenderbereitschaft in Deutschland relativ gering, wie der Blick in die europäischen Nachbarländer verrät. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland nur im unteren Drittel: „Im Jahr 2013 kamen in Deutschland 10,7 Spender auf eine Million Einwohner“, berichtete Hélène Le Borgne, Beauftragte für Transplantationen und Organspenden der EU-Kommission. Der Durchschnitt liegt in der Europäischen Union bei 19,5, Spitzenreiter Spanien kann sogar 35,3 Spender pro eine Million Einwohner vorweisen. Der Erfolg der Spanier ist jedoch nicht nur auf eine hohe Organspendebereitschaft der Öffentlichkeit zurückzuführen. „Wenn man Spanier vor 20 Jahren nach ihrer Organspendebereitschaft fragte, lag die Zustimmung bei 60 Prozent. Und diese Zustimmungsrate hat sich bis heute nicht verändert. Dennoch hat sich die Zahl der Organspenden und Transplantationen im gleichen Zeitraum vervielfacht“, erklärt Rafael Matesanz, Gründer und Leiter der spanischen Nationalen Transplantationsorganisation (Organización Nacional de Transplantes, ONT). Wichtig sind seiner Meinung nach nicht gezielte Werbekampagnen zur Aufklärung der Bevölkerung, sondern die Verbesserung der Organisation in den Krankenhäusern. Aus diesem Grund schult die ONT regelmäßig Intensivmediziner, Krankenpfleger, Notfallärzte und Transplantationsbeauftragte. Dass diesbezüglich auch in Deutschland Handlungsbedarf besteht, zeigt eine 2014 veröffentlichte Umfrage: 39 % der befragten Ärzte und 50 % der Pflegekräfte gaben an, nicht ausreichend über Spendererkennung, -behandlung und Angehörigenbetreuung informiert zu sein. Dass es also offensichtlich bei medizinischem Fachpersonal einen erheblichen Fortbildungsbedarf gibt, wird hoffentlich auch am 6. Juni 2015 ein Thema sein – dann wird in Deutschland nämlich wieder der alljährliche Tag der Organspende begangen.