Ein Hausarzt ist unverzichtbar, sagen die einen. Ich hab gar keinen, sagen die anderen. Was heißt das für die Corona-Impfung? 5 Gründe, warum es neben Allgemeinmedizinern auch Impfzentren braucht.
Der Hausarzt ist gefragt wie nie. Schließlich sind Allgemeinmediziner die Hauptanlaufstelle für Impfungen gegen COVID-19. Daneben gibt es außerdem noch die Impfzentren. Die sind teuer, umstritten, aber sind sie wirklich nutzlos, wie so mancher Kritiker behauptet?
Immer wieder taucht die Frage auf, ab wann sie ihre Pforten dauerhaft schließen sollten. Doch für den Erhalt der Impfzentren gibt es mindestens fünf gute Gründe. Einer davon ist ein bestimmtes Hausarzt-Problem, das durch die Pandemie erst so richtig deutlich wird – doch der Reihe nach.
Der erste Grund ist naheliegend. Es geht um die Flexibilität, die man durch Impfzentren als Ergänzung zur Impfung in Arztpraxen gewinnt. Wenn es zu Überschussdosen kommt, die Hausärzte nicht abnehmen können, wird in die Impfzentren getunnelt, wo die Vergabe recht kurzfristiger zusätzlicher Termine ermöglicht wird. Hier sind Größendimensionen von ein paar 1.000 Zusatzterminen auf einen Streich machbar.
Auch der zweite Grund ist völlig offensichtlich. Durch das teilweise Verlagern der Corona-Impfung in Zentren wird Hausärzten zumindest ein klein wenig der Rücken freigehalten. Während es im Impfzentrum alleinig um die Impfung gegen COVID-19 geht, müssen Mediziner neben dem Impfen auch noch Zeit einplanen, um sich in ihren Praxen um Patienten-Anliegen kümmern, die nichts mit Corona zu tun haben. „Mobile Menschen sind im Impfzentrum super aufgehoben. Wir Niedergelassenen müssen nebenher auch noch unseren ganz normalen Job machen“, wie eine Ärztin auf Twitter betont.
Bisher impft längst nicht jeder Hausarzt mit. Von den rund 150.000 Praxen, die es bundesweit für die Corona-Impfung infrage kämen, nimmt etwa ein Drittel an der Impf-Kampagne teil, wie der Hausärzteverband in Medien zitiert wird. Die anderen zwei Drittel impfen nicht gegen COVID-19. Woran liegt das? Am fehlenden Willen? Auf diese Frage gibt es derzeit keine eindeutige Antwort. Doch dass es an mangelnder Motivation liegt, glaubt Erik Bodendieck von der sächsischen Landesärztekammer nicht. „Ich glaube, grundsätzlich ist dieser Teil sehr gering, der auf dieser Schiene unterwegs ist. Wenn ich mir anschaue, wie viele Ärzte sich an unseren Fortbildungen beteiligen, dann ist das die übergroße Zahl, die hier ihre Fragen los wird. Deswegen machen wir die Fortbildungen. Und die Zahl derer, die sich am Impfen beteiligen, wird ja auch immer größer“, sagt er gegenüber dem MDR.
Davon abgesehen brächte es zum jetzigen Zeitpunkt keinen Vorteil, wenn sich mehr Niedergelassene an den Massen-Impfungen gegen COVID-19 beteiligen würden – dadurch wird der Impfstoff auch nicht mehr. Im Gegenteil: Alle teilnehmenden Mediziner erhielten dann sogar noch weniger Dosen. Schon jetzt klagen die Impf-Ärzte über viel zu kleine Liefermengen. Der Wille ist da, genügend Impfstoff leider nicht. „Die Impfpriorisierung aufzuheben und dann den Praxen fast keinen Impfstoff zu liefern, ist ein bisschen wie im vollen Fussballstadion ‚Freibier!‘ zu rufen und dann den Ausschank mit einem 5 Liter Fass allein zu lassen“, fasst ein Allgemeinmediziner die Situation zusammen.
Sobald sich die Lage einmal ändern sollte und es ausreichend Vakzine für alle gibt, wird die Frage, welcher Hausarzt gegen COVID-19 impft und welcher nicht, relevanter. „Ich kann nur empfehlen, sich entweder ans Impfzentrum zu wenden oder in anderen Arztpraxen höflich anzufragen, ob sie bei den anderen Kollegen geimpft werden“, rät Steffen Heidenreich, Vorsitzender des sächsischen Hausärzteverbands, Patienten.
Vor allem Punkt 4 scheint in der Diskussion über Impfzentren häufig unterzugehen: Es sollte erwähnt werden, dass längst nicht jeder Mensch einen Hausarzt hat – das gilt vor allem für junge Leute. „Leute, lasst die Impfzentren auf! Gerade junge Menschen haben oft keinen Hausarzt – erst recht keinen, der sie gut kennt und mal eben anruft, falls noch Stoff übrig ist. Impfzentren sind deshalb ideal für junge, mobile Menschen. Macht ihnen jetzt nicht die Räume eng“, wie es etwa der Journalist Henning Sußebach in einem Tweet formuliert. Mit seiner Aussage löste er auf Twitter eine Diskussion aus.
„Wie zur Hölle kann man keinen Hausarzt/-ärztin haben?“ will eine Userin wissen. Die Liste möglicher Gründe ist lang, wie die zahlreichen Antworten auf ihren Post zeigen. „Die, die keinen Hausarzt haben, gehen wegen eines Schnupfens vielleicht einfach nicht zum Arzt. Oder sind 20. Oder vor drei Jahren aus Syrien geflohen. Oder, oder, oder“, sagt Sußebach. „Oder einfach umgezogen“, ergänzt jemand. „Ich bin auch oft umgezogen. Es ist gar nicht so leicht, dann immer wieder einen neuen Allgemeinmediziner zu finden“, bestätigt eine Userin. „Das Impfangebot darf nicht von Hausarztzugehörigkeit abhängen“, findet eine Allgemeinmedizinerin und plädiert deshalb ebenfalls für den Erhalt der Zentren.
Um einen Impftermin zu bekommen, werden nun auch Patienten bei Allgemeinmedizinern vorstellig, die jahrelang keinen Hausarzt hatten. Und daraus ergibt sich ein weiterer Grund, der für das Offenlassen von Impfzentren spricht: Patienten-Stopps in unzähligen Praxen. Einen Hausarzt zu finden, sei unter anderem auch deshalb schwer, „[w]eil alles voll ist“, wie jemand in die Diskussion einwirft. „Ist uns schon zwei Mal so ergangen. Wir werden seltenst so krank, dass wir zum Doc gehen. Auch mit Kinderärzten. Zum letzten mussten wir 70 km fahren, weil im näheren Umkreis keiner mehr Patienten aufnahm.“
Auf ein ähnliches Problem stoßen auch Impfwillige, die auf Online-Portalen ihr Glück versuchen. Wer Impftermine digital buchen möchte, liest nicht selten einschränkende Formulierungen wie: „Impftermine nur für Stammpatienten.“
Dass der Andrang an Patienten aufgrund der Corona-Impfung stark zunimmt, beobachten auch Ärzte. „Wir haben in diesem Quartal so viele Patienten wie noch nie! Klar, Impfungen! Aber auch neue Patienten, die mit dem vorherigen Hausarzt unzufrieden sind oder noch keinen Hausarzt besitzen“, berichtet eine Allgemeinmedizinerin. Auf Hausärzte kommt also noch einiges an Arbeit zu. Auf Impfzentren zu verzichten, scheint zumindest in nächster Zeit noch keine Option zu sein.
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