Eine Kombination aus Infrarotspektroskopie und Computersimulation auf atomarer Ebene ermöglicht es, auch kleinste Formveränderungen eines KscA-Kaliumkanals zu untersuchen. Eine Voraussetzung, die Dynamik von Proteinen in Echtzeit zu erfassen, ist somit gegeben.
Ionenkanäle sind spezifische „Poren“ in der Zellmembran, die geladene Teilchen wie Kalium- und Natriumionen in die Zelle und wieder hinaus transportieren. Dadurch kontrollieren sie eine Vielzahl von biologischen Prozessen, wie die Gehirnfunktion und den Herzschlag. Ionenkanäle sind üblicherweise nur für einzelne Ionenarten durchlässig und werden dementsprechend bezeichnet, z.B. als Kaliumkanäle und Natriumkanäle. Durch dieses spezielle Auswahlverfahren kann eine Ionenart mit sehr hoher Geschwindigkeit durchströmen, während andere Ionenarten daran gehindert werden. Die exakten molekularen Mechanismen, die hinter der hohen Ionenselektivität und dem -transport der Kanäle stecken, sind noch nicht vollständig aufgeklärt. „Konventionelle Methoden, wie die Röntgenkristallographie, erfassen nur die starren Strukturen. Es ist daher unmöglich, zu untersuchen, wie dynamisch einzelne Atome eines Proteins bei Raumtemperatur sind, also wie stark sie sich hin- und her bewegen. Doch genau die Dynamik eines Proteins ist oft der Schlüssel, um dessen präzisen Funktionsmechanismus zu verstehen“, erklärt der Physiker Alipasha Vaziri, Gruppenleiter an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) und am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) und Leiter der Forschungsplattform „Quantum Phenomena & Nanoscale Biological Systems“ (QuNaBioS) der Universität Wien. Die schematische Abbildung ganz rechts zeigt die in der Studie gefundenen Änderungen in Stärke und Richtung der Schwingungskopplung innerhalb des Filters, die abhängig von der Ionenart sind. © David S. Goodsell & RCSB Protein Data Bank
Vaziris Forschungsteam konnte mittels Infrarotspektroskopie in Kombination mit Computersimulationen der gewonnenen Spektren auch die kleinsten Formveränderungen des KscA Kaliumkanals untersuchen, die sich durch das Binden von Kalium oder des nur 0.04 Nanometer kleineren Natriumions ergeben. Die dabei ineinander verschachtelten Infrarotspektren des Gesamtproteins wurden entwirrt, indem bestimmte Teile des Infrarotspektrums den entsprechenden Bausteinen der Aminosäuren zugeordnet wurden.
„Durch diesen neuen Ansatz können wir die Mechanismen ohne zeit- und kostenaufwändige Verfahren wie die sogenannte Isotopenmarkierung erforschen. Zudem ebnet dieser Zugang den Weg für die zukünftige Kombination mit zweidimensionaler Infrarotspektroskopie, was die Struktur und Dynamik von Ionenkanälen in biologisch relevanten Zeitskalen erfassen lässt“, sagt Christoph Götz, PhD-Student in der Gruppe von Alipasha Vaziri und Koautor der Studie. Die Studie zeigt, dass die Kombination der beiden Methoden verwendet werden kann, um auch kleinste Konformationsänderungen in großen Membranproteinen, wie dem KscA-Kaliumkanal, zu bestimmen. Zudem schaffen die Forscher damit die Voraussetzung, um die Dynamik von Proteinen in Echtzeit in atomarer Auflösung zu erfassen, was mit den bisher gängigen Techniken nicht möglich war. Originalpublikation: Visualizing KcsA Conformational Changes upon Ion Binding by Infrared Spectroscopy and Atomistic Modeling Alipasha Vaziri et al.; The Journal of Physical Chemistry B, doi: 10.1021/acs.jpcb.5b02223; 2015