Gesunde Zähne, die sich wie bei Haifischen nachschieben – davon träumen geplagte Patienten auf dem Behandlungsstuhl. Die Stammzelltherapie könnte diesen Traum wahr werden lassen. Denn auch zahnmedizinisch entpuppen sich die biologischen Alleskönner als aussichtsreich.
Lernen von der Natur: Cheng-Ming Chuong, University of Southern California in Los Angeles, nahm sich nachwachsende Zähne von Reptilien zum Vorbild. Alligatoren ersetzen Jahr für Jahr ihr Gebiss – im Laufe ihres Lebens bis zu 50 Mal. Jedes Beißerchen besteht aus einem reifen Zahn, einem unreifen Ersatzzahn und einer sogenannten Zahnleiste mit Ansammlungen von Stammzellen am Ende. Verlieren Tiere einen Zahn, rutscht der vorbereitete Ersatz nach, und aus der Zahnleiste entsteht ein neuer Vorläufer. Chuong fand zudem Hinweise auf regulatorisch aktive Botenstoffe: ein Ansatz aus der Grundlagenforschung mit Relevanz für die Praxis, wenn auch in Jahrzehnten.
Der nächste Schritt: Etsuko Ikeda von der Universität Tokio ist es gelungen, im Tierexperiment voll funktionsfähige Zähne zu züchten. Aus Stammzellen generierte das Team im Labor über Umwege sogenannte Zahnkeime. Diese setzten Zahnärzte in Kiefer von acht Wochen alten Mäusen ein – anstelle eines vorher entfernten Backenzahns. Bei jedem zweiten Tier gelang ihr Vorgehen. Nach durchschnittlich 37 Tagen wuchs der Zahn durch das Zahnfleisch, und Kontakt zu den unteren Zähnen gab es nach 49 Tagen. Trotz phänotypischer Unterschiede entsprach das neue Gebilde gesunden Zähnen. Alle anatomischen Details waren vorhanden und voll funktionsfähig. Härtetests zeigten ebenfalls keine Besonderheiten. Bleibt als Nachteil, dass Etsuko Ikeda auf embryonale Stammzellen angewiesen war.
Adulte Stammzellen haben ebenfalls Potenziale, um biologische Strukturen zu erneuern. Jeremy Mao von der Columbia University ging diesen Weg. Verlieren Patienten einen Zahn, formte der Forscher anhand von Modellen oder CT-Aufnahmen ein Modell aus biologisch abbaubaren Polymeren und implantierte sein Gebilde in den Kiefer. Mit Wachstumsfaktoren lockte er adulte Stammzellen aus der Umgebung an. Das Ergebnis: fest eingewachsene Zähne. Fehlten geeignete Gegebenheiten im Kiefer, mussten Kollegen in manchen Fällen Knochen transplantieren. Warum nicht adulte Stammzellen einbringen und Substanz in vivo aufbauen? Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKGC) und der Sektion Medizinische Werkstoffkunde und Technologie (MWT), Universitätsklinikum Tübingen, arbeiten jetzt an stammzellbasierten Implantaten als Knochenersatz im Kieferbereich. Stammzellen aus der Kieferknochenhaut erweisen sich als besonders geeignet. Sie behalten ihr osteogenes Potenzial. Die nächste Komponente: Knochenersatzmaterialien mit biologisch aktiven Molekülen, damit sich Stammzellen ansiedeln und anschließend differenzieren. Auch bei Unfällen hoffen Experten auf heilende Zellen. So verlor ein Patient etliche Zähne und 75 Prozent des Kieferknochens [Paywall]. Ärzte bereiteten eine Mixtur aus Stammzellen, Wachstumsfaktoren plus Tricalciumphosphat vor und behandelten ihn damit. Nach vier Monaten hatte der Körper 80 Prozent des ursprünglichen Defekts wieder aufgefüllt – mit biologisch intaktem Knochenmaterial. Und schon ließen sich Implantate wieder problemlos platzieren. Pasten aus Tricalciumphosphat kommen auch bei 3D-Druckern zum Einsatz, um maßgefertigte Werkstücke herzustellen: eine ideale Matrix für Stammzellen.
Auch bei vergleichsweise banalen Zahnerkrankungen könnten sich Stammzellen eignen. Eine aktuelle Arbeit: David Mooney von der Harvard Universität in Cambridge/Massachusetts hat untersucht, wie Laserlicht mit Zähnen interagiert [Paywall]. Dazu bohrten Zahnärzte feine Löcher in die Backenzähne von Ratten. Anschließend wurde die Pulpa mit einem niederenergetischen, gepulsten Laser bestrahlt. Und siehe da – es kam zu einer beschleunigten Wundheilung im Inneren, wie Forscher per Röntgenbildgebung und Mikroskopie nachweisen konnten. Mooney schrieb, durch den Laser seien primär reaktive Sauerstoffradikale entstanden. Diese hätten spezielle Wachstumsfaktoren wie den Transforming growth factor beta1 (TGF-β1) von einer latenten in eine aktivierte Form überführt. Besagtes Eiweiß unterstützt die Transformation von Stammzellen in Dentin. Bei transgenen Tieren ohne TGF-beta1 scheiterten entsprechende Experimente. Jetzt setzen Forscher auf eine klinische Studie. Ihre Hoffnung: Sollten bei Kariesbehandlungen tiefe Kavitäten mit Verletzung des Dentins oder des durchbluteten Marks auftreten, bestünde Hoffnung, den Zahn zu retten. Laut Mooney sei der Vorteil, dass Laser bereits seit Jahren in der Zahnmedizin Verwendung finden. Mit Einsatzmöglichkeiten rechnet er bereits in wenigen Jahren. Viel Zukunftsmusik – momentan lohnt es sich weiter, die Zähne zu pflegen und Vorsorgeuntersuchungen ernst zu nehmen.